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Texte über Hellmut Diwald

Im folgenden finden sich Texte bzw. Zitate aus Texten über Hellmut Diwald

In honorem Hellmut Diwald, in: Sudetenland, 1979, von Alfred Schickel.

Hellmut Diwald – Geschichtserwecker und Vorkämpfer gegen eine kriminalisierte und gestohlene Geschichte, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Rolf-Josef Eibicht.

Hellmut Diwald und die deutsche Geschichtsschreibung. Seine Person, Leistung und Bedeutung, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Alfred Schickel.

Ein Gedenkblatt für Hellmut Diwald als „unzeitgemäße Betrachtung“, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, in: Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Kurt Kluxen.

Freund Hellmut Diwald – Persönlichkeit und Ausstrahlung, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Richard W. Eichler.

Hellmut Diwald – der Geschichtssoziologe zwischen den Fronten, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Lothar Bossle.

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald von 1978/1979. Erster Teil: Die Rache der SS, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Armin Mohler.

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald 1978/1979. Zweiter Teil: Richtigstellungen, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Robert Hepp.

Wahrheit und Pietät, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Gerhard Pfohl.

Der Sudetendeutsche Hellmut Diwald, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Alfred Adelt.

Die Stunde der Geschichtserwecker: Hellmut Diwald und Alexander Solschenizyn, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Wolfgang Strauß.

Anmerkungen zu Diwalds Werken, Die Anerkennung – Bericht zur Klage der Nation, Mut zur Geschichte und Geschichte macht Mut, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Alfred Adelt.

 

In honorem Hellmut Diwald, in: Sudetenland, 1979, von ALFRED SCHICKEL:

In honorem Hellmut Diwald

Wissenschaftler, die in ein- und derselben Person packende Darstellungskraft, forscherliche Unabhängigkeit und Mut zum Unzeitgemäßen vereinbaren, sind heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Hellmut Diwald gehört zu den raren Ausnahmen.

Der aus dem südmährischen Schattau gebürtige Ingenieurssohn und heutige Professor für Mittlere Geschichte an der Universität Erlangen hat schon seit seinem Eintritt in die Wissenschaft durch seine Arbeiten und Publikationen bewiesen, daß es auch heute noch möglich ist, den Zeitgenossen die Vergangenheit in einer Weise zu vergegenwärtigen, daß sie sowohl innerlich vom historischen Geschehen berührt sind als sich auch auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand gebracht fühlen. Hellmut Diwald mochte in seinem wissenschaftlichen Schaffen keine Barriere zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit anerkennen, wie seine Beiträge in Zeitungen und Fachzeitschriften, bei Rundfunk und Fernsehen beweisen.

Die erste große eindrucksvolle Probe seines wissenschaftlich-schriftstellerischen Talents legte der heute fünfzigjährige Historiker vor zehn Jahren ab, als er seine aufsehenerregende Wallenstein-Biographie, die umfassende Lebensdarstellung dieses bedeutenden Feldherren deutscher Reichsgeschichte, veröffentlichte. Sie gilt in der Fachwelt bis heute noch als das Standardwerk über diesen großen Sohn Böhmens. Hellmut Diwald hat offensichtlich die Gabe des unmittelbaren Erfassens, des genialen Generalissimus und ihn sich auch aus tschechischen Quellen erschließen können.

So entstand unter seiner Feder das plastische Bild einer geschichtlichen Figur, die zeit ihres Auftretens die Historiker und Biographen – von Schiller über Leopold von Ranke bis hin zu Hans von Srbik u. a. – beschäftigt hat.

Nicht von ungefähr näherte sich Hellmut Diwald dem großen Friedländer über die Bearbeitung eines seiner Vorgänger, indem er 1967 Rankes „Geschichte Wallensteins“ mit einer hundert Seiten umfassenden Einleitung versah und neu herausgab.

Seitdem blieb er dem berühmten Landsmann aus Hermanic forscherlich verhaftet. Eine Verbundenheit, die sich mit der Fähigkeit paarte, große strittige Probleme in einfache Fragen zu fassen, und die ihm nicht zuletzt für den großen Wurf von 1969 zustatten kam. Für Diwald bestand das sogenannte Wallensteinproblem in der Klärung, ob der von Kaiser Ferdinand II. mit höchsten Ehren und zuletzt zum Herzog von Friedland und „General der ozeanischen und baltischen Meere“ ernannte „Generaloberst-Feldhauptmann“ des kaiserlichen Heeres seinem Herrn tatsächlich die Treue aufkündigen und einen Separatfrieden mit Schweden schließen wollte und ob er beabsichtigte, die Krone Böhmens an sich zu reißen oder gar das Haus Habsburg zu stürzen; - oder wie es der berühmte Astronom Johannes Kepler in seinem Horoskop für Wallenstein ausdrückte: „Er wird für einen einsamen, lichtscheuen Unmenschen gehalten, hat großen Ehrendurst und Streben nach zeitlichen Dignitäten und Macht, dadurch er sich viel großer und heimlicher Feindt machtet,… will das Ansehen gewinnen, als werde er eine große Menge Volkes an sich ziehen… und zu einem Haupt- und Rädelsführer aufwerfen lassen.“

Diwald scheute sich nicht, diesem Horoskop Keplers das Gewicht eines Lebensplans für Wallenstein beizumessen, freilich ohne die finsteren Prognosen über potentielle Rebellion und Rädelsführerschaft als reale Möglichkeiten anzunehmen. Für ihn ist Wallenstein nicht ein finsterer Machtmensch gewesen, sondern ein Mann, der die Macht gebrauchte „mit dem begleitenden Bewußtsein ihrer Vorläufigkeit“, nicht ehrgeiziger als Hunderte seiner Zeitgenossen und nicht prunksüchtiger als andere. Ein Urteil, das die Fachwelt aufhorchen ließ, da und dort zum Widerspruch reizte, aber das letztlich nicht widerlegt wurde.

Die interessierte Leserschaft, oft mit unverstellterem Blick ausgestattet als argwöhnische Fachgenossen, zeigte sich von Diwalds Wallenstein-Biographie fasziniert, pries seinen erstaunlichen Mut zu offener Parteinahme für den nur allzu oft dämonisierten Friedländer und setzte das Buch monatelang auf die Bestsellerliste.

Nicht verwunderlich, daß der Ullstein-Verlag als Herausgeber der Reihe „Dichtung und Wirklichkeit“ im Jahre 1972 seinen 33. Band von Hellmut Diwald gestalten und unter das Thema „Schiller – Wallenstein“ stellen ließ, und daß die von Diwald bearbeitete Rankes´sche „Geschichte Wallensteins“ im vorigen Jahr eine Neuauflage erlebet.

Mittlerweile hat sich der anerkannte Wallenstein-Biograph auch durch zahlreiche andere wissenschaftliche Arbeiten einen Namen gemacht. So übertrug ihm der angesehene Propyläen-Verlag den Beitrag für den ersten Band seiner „Geschichte Europas“ über „Anspruch auf Mündigkeit um 1400-1555“ und gab Hellmut Diwald von neuem Gelegenheit, seine brilliante Porträt- und Darstellungskunst unter Beweis zu stellen. Wer bislang den Erlanger Dozenten noch der Nachwuchshistorikerschaft zugerechnet haben mochte, mußte nunmehr seinen hohen wissenschaftlichen Rang anerkennen und Hellmut Diwald zur Elite der europäischen Fachhistorie zählen.

Mit der scharfsinnigen Abhandlung von 1970 über „Die Anerkennung – Bericht zur Klage der Nation“ wie der nachfolgenden Fernseh-Serie über Stationen und Mächte deutscher Geschichte deutete der prominente Gelehrte sein großes Generalthema der nächsten Jahre an: eine Geschichte der Deutschen.

Sie erschien im Herbst 1978 und stellte in ihrer Resonanz alles bisher Dagewesene in den Schatten: an hybrider und intoleranter Kritik seitens großer Teile der veröffentlichten Meinung wie an begeisterter Zustimmung der überwältigenden Mehrheit der Leser. Hellmut Diwald hat es als erster Historiker von Rang unternommen, in der deutschen Geschichte nicht nur überwiegend kriminalisierte Vergangenheit zu sehen, und es gewagt, dort Fragezeichen zu setzen, wo Siegerliteratur Pauschal-Verdikte und sich die übrigen deutschen Zeitgeschichtler befangen ausschweigen. Die Integrität seiner Person wie der Ausweis seiner wissenschaftlichen Leistung machten Hellmut Diwald zum berufenen Interpreten der deutschen Geschichte und sein monumentales Werk zugleich zum Lichtzeichen für viele Tausende, die in der Ahnenreihe ihres Volkes mehr als nur Exponenten ungezähmten Imperialismus´ oder verbrecherischen Rassismus´ entdeckten.

Gleichzeitig geriet ihm sein Geschichtswerk zum Fallbeispiel für die Übermacht der Medien und der sie beherrschenden Kräfte und damit zum tragenden Schlüssel-Erlebnis einer gar nicht so pluralistischen Gesellschaft.

Daß Hellmut Diwald diesen absonderlichen Sturm sachlich-inkompetenter Entrüstung durchstand, zeugt von seinem Mut und menschlichem Standvermögen, von welchem kein Quentchen abgeht, wenn man dabei auch von seiner Ehefrau Susanne, einer gleichermaßen rennomierten und hochangesehenen Wissenschaftlerin, als tapferer Weggefährtin anerkennend gedenkt.

So findet der Kulturpreis Wissenschaft der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Prof. Dr. Hellmut Diwald nicht nur einen würdigen Träger, sondern das von ihm vorgelegte wissenschaftliche Werk auch die verdiente Anerkennung.
Alfred Schickel

 

Hellmut Diwald – Geschichtserwecker und Vorkämpfer gegen eine kriminalisierte und gestohlene Geschichte, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von ROLF-JOSEF EIBICHT.

Hellmut Diwald – Geschichtserwecker und Vorkämpfer gegen eine kriminalisierte und gestohlene Geschichte

„Am 26. Mai 1993 starb in Würzburg Hellmut Diwald, Professor an der Universität Erlangen für Mittlere und Neuere Geschichte. Deutschland verlor mit ihm einen Historiker, der sich durch seine Forschungen und Publikationen unermeßliche Verdienste zur historischen Selbstbewahrung und Selbstbehauptung, zum historischen Selbstverständnis der Deutschen, ihrer geschichtlichen Identität und ihres politischen Selbstbewußtseins erworben hat. Mit einer einzigartigen Unbestechlichkeit im Dienst an der historischen Wahrheit, Klarheit, Gerechtigkeit, Objektivität und Faktentreue, den Lebens- und Überlebensrechten auch des deutschen Volkes führte dieser hervorragende Wissenschaftler einen Kampf gegen Umerziehung, Vergangenheitsbewältigung und Zeitgeist, was ihn heute schon als einen ganz großen Bekenner und einen der größten deutschen Historiker in diesem Jahrhundert auszeichnet. Durch die Kraft seiner Darstellung und Sprache war er ein ebenso brillanter Geschichtsschreiber wie begnadeter Redner. Hellmut Diwald war Künder und Deuter einer tragfähigeren und humaneren sowie einer folglich auch freiheitlich-demokratisch stabileren, weil nicht auf der Haltlosigkeit und Lüge, sondern auf den ewig tragenden Säulen alles geschichtlichen Entstandenen basierenden Gemeinschaftsgestaltung. Zudem war dieser vielfache Erfolgsautor Millionen von Fernsehzuschauern, etwa durch die Fernsehserie Dokumente Deutschen Daseins von Wolfgang Venohr in Zusammenarbeit mit Sebastian Haffner, in der Bundesrepublik und Österreich bekannt.

Daß Diwald umstritten war, kann dieses Urteil nur um so mehr bekräftigen, zumal er in seinem unbeirrbaren Glauben und seiner Liebe zu Deutschland durch den Triumph der Wiedervereinigung von Restdeutschland in seinen Auffassungen von den unabdingbaren nationalen Notwendigkeiten, dem Selbstbestimmungsrecht und der Freiheit aller Völker und Volksgruppen, ohne die eine wirklich tragfähige und dauerhafte Friedensordnung in Europa unmöglich ist, nachdrücklichst und zutiefst bestätigt wurde.“ …

 

… „Hellmut Diwald unterbreitete als ein Praeceptor Germaniae in seinem ganzen Schaffen einen Identitätsbeweis der Deutschen von überragender Größe und Stichhaltigkeit. Zu den Grundlagen seiner Geschichtsauffassung, dem Sinn von Geschichte, ist folgendes anzumerken. Nach Wilhelm Dilthey ist die Geschichte »eine Weise, die Welt auch zu begreifen«! Und so schreibt Diwald in seiner Abhandlung zu Dilthey: »Echtes, wahrhaft lebendiges Philosophieren muß historisch sein, und eben diese gegenseitige Durchdringung von Philosophie und Geschichte war für Dilthey entscheidend: der Mensch muß durch und aus der Geschichte verstanden werden. Das berühmte Wort, der Mensch erkenne sich nie durch Introspektion, sondern nur durch die Geschichte, ist von Dilthey weder nur philosophisch, historisch, anthropologisch oder ähnlich verstanden worden; Dilthey hat damit einen ganz neuen denkerischen Ansatz markiert.« Zur Bedeutung der Geschichte weist Diwald auch darauf hin, »daß der historische Rückblick dem Menschen unvergleichlich mehr von seiner Natur offenbart als Selbstreflexion, seelische Analyse oder tiefenpsychologische Aufklärung. Die Geschichte allein zeigt uns, wie wir geworden sind, was uns formte - und was wir zu verlieren haben«. Oder: »Geschichte ist ein Stück Substanz jedes einzelnen Menschen«, sie ermöglicht uns »das Potential der eigentlich menschlichen Befähigungen, Kräfte, Bedürfnisse zu erschließen - deshalb ist Geschichte so unentbehrlich«. Und zur verändernden Kraft des Geschichtsbewußtseins fügt er unmittelbar hinzu: »Ob wir in unserer Gesellschaft zuhause sind, ob wir noch etwas empfinden bei der Vokabel >deutsches Volk<, ob uns nur die Bundesrepublik etwas bedeutet oder ob uns BRD und DDR nach wie vor nur Teile von Deutschland sind, ob wir uns schon in einem Europa des Jahres 2200 beheimatet fühlen: das alles läßt sich heute nur durch die Geschichte und mit ihrer Hilfe aktivieren.« Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, so Diwald an anderer Stelle, versucht den »Bestrebungen des Menschen, seinem Tun und Leiden, seinen Wünschen und seinem Versagen, seinen Festen und seiner Trauer, seiner Sehnsucht und Enttäuschung einen Sinn abzugewinnen. Deshalb fehlen auch in den großen Ereignissen niemals Bestrebungen, die in eine Richtung außerhalb der Zeit gehen. Ohne den Willen zum Bleibenden, ohne den oft so aussichtslosen Mut zur Dauer könnten wir Menschen die unentrinnbare Vergänglichkeit unseres Lebens und unserer Geschichte nicht ertragen. Mit solchen Bemerkungen stoßen wir allerdings an die Grenzen der rationalen Auslegung. Zur Einzigartigkeit und zugleich zum Sinnbildlichen des großen Ereignisses gehört ein Hauch des Mysteriösen. Dieser Rest von Unerklärbarkeit stellt sicherlich so etwas wie die Seele des Ereignisses dar. Der Respekt davor erlaubt dem Historiker nur den Versuch der Umschreibung. Schon das ist anspruchsvoll genug, denn nichts zeigt so offenkundig wie die großen Ereignisse der Geschichte, daß das Geheimnis der Welt im Sichtbaren liegt und nicht im Unsichtbaren. «

Leopold von Ranke, der »den ersten Platz der Geschichtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts« (Lord Actor) innehatte, sah die Aufgabe der Geschichtsschreibung darin, »bloß (zu) zeigen, wie es eigentlich gewesen«. Diesbezüglich lautet sein berühmtes Wort: »Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen. « Diwald schreibt zu dieser Methode der Geschichtsdarstellung: »So geht sein Streben in der Abformung der konkreten Gegenstände und Begebenheiten auf. Was dadurch unerklärlich bleibt, läßt er auf sich beruhen, nur zuweilen glaubt er, die Hand Gottes über den Menschen wahrzunehmen. «

Ranke, dem nach George Peabody Gooch »die deutsche Geschichtsschreibung ihre führende Rolle im 19. Jahrhundert« verdankt, beschrieb die Aufgabe der Geschichtspräsentation wie folgt: »Ich wünsche mein Selbst gleichsam auszulöschen und nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen, die, im Laufe der Jahrhunderte mit- und durcheinander entsprungen und erstarkt, nunmehr gegeneinander aufstanden und in einen Kampf gerieten, der, indem er sich in schrecklichen und blutigen Kämpfen entlud, zugleich für die wichtigsten Fragen der europäischen Welt eine Entscheidung in sich trug. Die Aufgabe der Historiker wäre, über dem Streit der Parteien zu stehen, ihn zu begreifen, die Kämpfenden jeden in seiner Absicht zu fassen, danach seine Taten zu wägen und erst alsdann sie zu beschreiben. Jedem die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, deren er sich in sich selber wert ist, das geziemte sich. Dagegen geschieht nur allzuoft, daß die Geschichtsschreiber, von der Unfehlbarkeit ihrer Meinung durchdrungen, in den Streit eintreten und ihn, soviel an ihnen liegt, mit auszufechten suchen. Die Erzählung wird selber zur Waffe, und die Historie zur Politik. « Und an anderer Stelle schreibt Ranke: »Objektivität ist zugleich Unparteilichkeit. « Und er nahm, wie er selbst darlegt, »die Geschichte wie sie ist; wir haben über Irrtum und Wahrheit schlechthin nicht zu urteilen. Es erheben sich uns Gestalt neben Gestalt, Leben neben Leben, Wirkung und Gegenwirkung. Unsere Aufgabe ist es, sie bis auf den Grund der Existenz zu verfolgen und mit völliger Objektivität darzustellen. « Und an anderer Stelle schreibt er: »Alles hängt zusammen: kritisches Studium der echten Quellen; unparteiische Auffassung; objektive Darstellung - das Ziel ist die Vergegenwärtigung der vollen Wahrheit. Ich stelle da ein Ideal auf, von dem man nur sagen wird, es sei nicht zu realisieren. So verhält es sich nun einmal: die Idee ist unermeßlich, die Leistung ihrer Natur nach beschränkt. Glücklich, wenn man den richtigen Weg einschlug und zu dem Resultat gelangte, das vor der weiteren Forschung und Kritik bestehen kann.«

Klar legt Diwald die Schlußfolgerung dar: »Für Ranke war das Streben nach absoluter Gerechtigkeit, nach Unparteilichkeit etwas Bedingungsloses. « Ranke hielt die Aufgabe - so Ranke selbst -, »die Wahrheit ans Licht zu bringen«, »immer für eine der wichtigsten Pflichten der Historie«. (Hellmut Diwald) Zu Rankes Darlegungen, der Notwendigkeit der Präsentation der Geschichte durch Wahrheit und Objektivität, schreibt Diwald 1991: »Dieses Bekenntnis wurde zum klassischen Kanon einer Geschichtswissenschaft, die als erste und oberste Pflicht ansieht, die Darstellung der historischen Vergangenheit freizuhalten von allen Verzerrungen; sie ist bis heute in den wesentlichen Bestimmungsstücken identisch mit jeder Geschichtsschreibung, die sich auf wissenschaftliche Zuverlässigkeit angewiesen sieht.«

Hellmut Diwald jedoch ging über diese Konzeption von Ranke noch hinaus. Zur Darlegung historischer Ereignisse an den Maßstäben der Wahrheit und Objektivität fügt er - so in einem Beitrag aus dem Jahre 1971 - die Aufgabe hinzu darzustellen, »warum es so gewesen. Motive, Gründe, Voraussetzungen des Menschen in der Geschichte das zu klären und erklären ist wichtig. . . Diskursiv rationale Geschichtsforschung bedeutet nichts anderes, als daß die Reflexion auf den mitgebrachten intellektuellen Habitus, auf die Antriebe des Denkens sich fortsetzt in der Reflexion, die den historischen Erkenntnis- und Präsentationsprozeß Schritt für Schritt begleitet. Die Reflexion auf die Darstellung ist von der Darstellung nicht ablösbar. Das ist das Problem. Eine Geschichtsforschung, die glaubt, auf begleitende Reflexionen verzichten zu können, wird den Ansprüchen moderner Wissenschaft nicht gerecht. Niemand wird sie hindern, in beachtenswerter Naivität weiter ihre Stoffe so zu bearbeiten, wie bisher. Niemand aber kann und soll ihr das Los ersparen, unter den Akten, durch die sie sich gräbt, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Der Historiker heute ist kein Immortellenfabrikant. Innerhalb einer wirklichkeits-bezogenen Geschichtsforschung entwickelt sich zwangsläufig gesellschaftspolitischer Sinn, nach Maßgabe von Rang und Qualität. Wenn dieser Sinn keinen Ansprüchen ausweicht und die Notwendigkeiten nicht ins Utopische verlagert, ist er identisch mit historischem Sinn. Der kürzeste Weg zur
Gegenwart führt durch die Vergangenheit. Der schnellste Weg in die Vergangenheit beginnt bei der Gegenwart. Deshalb sehe ich im Geschichtsstudium die exponierteste Art, sich mit der Gegenwart zu beschäftigen. Mit ihren
Spannungen, Widersprüchen, Zumutungen, Errungenschaften und Unverträglichkeiten.« Rund 25 Jahre später, 1990, auch nach einem bewegten und erfolgreichen Historikerleben, nahm er wie folgt Stellung zu den Aufgaben des Historikers: »Sein Geschäft ist die Sondierung, die Analyse der Fakten, die Darstellung der Ereignisse und die Bilanz der Entwicklung. « Und zuvor weist
er darauf hin: »Distanzierung ist ein Grundelement der geschichtlichen Betrachtung. «“ …

 

… „Erfolgswerk „Geschichte der Deutschen“

Diwalds größtes Erfolgswerk war die 1978 in einer Startauflage von 100 000 Exemplaren erschienene und in einem gegenchronologischen Verfahren vom Heute in das Gestern, zum Ursprung zurückblickend - dargestellte Geschichte der Deutschen (Propyläen-Verlag, 760 Seiten). Von keinem anderen Fachhistoriker war es bis dahin unternommen worden, eine nüchterne, sachliche und leidenschaftslose Betrachtung der tausendjährigen Geschichte der Deutschen zu verfassen. Und dies zudem »mit seiner besonderen Gabe« Geschichte gleichsam wie miterlebend »mit einer so geistreichen wie verständlichen Sprache für unterschiedliche Leser auf zuschließen« (Bossdorf).

Diwald unterbreitete mit diesem begnadeten epochalen Werk einen Identitätsbeweis der Deutschen von überragender Größe und Stichhaltigkeit. Und dies ohne Ausflüchte, ohne Beschönigungen und ohne politikwillfähriges Taktieren. Auf das überaus treffende Zitat von Helmut Schmidt im Deutschen Bundestag wurde bereits hingewiesen. Bundeskanzler Helmut Schmidt, der als einer der ersten die Publikation in der Urfassung erhielt und Diwald zuvor schon zum Festvortrag nach Bonn eingeladen hatte, bestätigte ihm, ein überaus gutes und höchst interessantes Werk über die Geschichte der Deutschen verfaßt zu haben. Wie kein anderer wußte dieser Bundeskanzler von der Bedeutung der Geschichtsschreibung als ein Feld, auf dem es um die Werte der Gemeinschaft geht.

Erstmals nach Kriegsende wurde hier die deutsche Geschichte nicht mehr nur als »eine Einbahnstraße ins Verhängnis« dargestellt. Sie wurde endlich herausgenommen aus dem perfiden Bereich der Verdammungsurteile der Umerziehung und Geschichtsklitterungen. Herausgenommen aus einem Kriminalisierungsprozeß, der schon in den Schulen beginnt, in den Universitäten fortgesetzt wird und bis auf den heutigen Tag andauert. Diwald präsentierte ebenso belastende wie entlastende Fakten und Tatsachen. Er stellte dar, »wie es denn gewesen ist«. Diwalds Werk Geschichte der Deutschen ist ein Werk der Unbestechlichkeit, es legt nicht nur die eigenen Verbrechen, sondern auch die von anderen an Deutschen begangenen offen dar, Verbrechen an Deutschen während und nach Kriegsende, die bislang von einer ganzen Historiker-Umerziehungsgeneration überwiegend unterdrückt wurden.

Mord im Frieden

Im Kapitel »Mord im Frieden« nimmt Diwald auch zu den an Deutschen begangenen unverjährbaren Menschheitsverbrechen präzise Stellung. Während des Genozids und Völkerrechtsverbrechens der Massenaustreibung von 15 Millionen Deutschen aus Ostdeutschland und dem Sudetenland wurden 2,28 Millionen Deutschen getötet und ermordet, ebenso 120 000 Reichsdeutsche von den 2 Millionen Kriegsevakuierten, die sich zu diesem Zeitpunkt in den genannten Gebieten aufhielten. Hunderttausende von deutschen Kriegsgefangenen hat man unter der Verantwortung des amerikanischen Generals Eisenhower nach der Kapitulation vorsätzlich verhungern lassen. Zu den Morden an Deutschen im Frieden gehören weit über 200 000 deutsche Soldaten, die in Jugoslawien durch Massenerschießungen umgebracht wurden. 2 Millionen Kriegsgefangene starben in sowjetischen Lagern. Von den in Jugoslawien lebenden 520 000 Volksdeutschen wurden nach dem 8. Mai 1945 135 000 ermordet. Diwald: »Diese Menschen starben also nach dem 8. Mai 1945, nach dem Tag, mit dem die Ära >unserer Gemeinsamkeiten an unschätzbaren Werten< beginnen sollte, wie es einer der Sieger ausdrückte. « Festzustellen ist: Alle Welt weiß von den Verbrechen der Deutschen, die Welt weiß nichts von dem, was den Deutschen - und dies sogar im Frieden und nach der Kapitulation - angetan wurde. Welch ein katastrophales Versagen - unter anderem - der deutschen Historikerzunft!

Die an Deutschen begangenen Verbrechen nach der Kapitulation wären noch vielfach zu ergänzen, etwa durch die Verschleppung von etwa 1,3 Millionen deutscher Kriegsgefangener und annähernd einer Million deutscher Zivilpersonen als Arbeitssklaven in die Sowjetunion. Auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) erhielt Stalin von den Westmächten die Zustimmung zu den Deportationen deutscher Zivilpersonen. 1951 wurden in Rumänien 40 000 Rumäniendeutsche aus dem fruchtbaren Banat im Westen des Landes in die ostrumänische Baragan - Steppe verschleppt.

Zur Nürnberger Rachejustiz, den Prozessen der Sieger über die Besiegten, zitiert Diwald unter anderem Papst Pius XII.: »Einem unbeteiligten Dritten bereitet es Unbehagen, wenn er sieht, wie nach Abschluß der Feindseligkeiten der Sieger den Besiegten wegen Kriegsverbrechen aburteilt, während sich der Sieger gegenüber dem Besiegten ähnlicher Handlungen schuldig gemacht hat.« Dem ist absolut nichts hinzuzufügen!“ …

 

… „Bekenner der Freiheit seines Volkes

Hellmut Diwald war ein Bekenner der Freiheit seines Volkes. In der tiefen Nacht der nationalen Würde- und Ehrlosigkeit über der Bundesrepublik Deutschland prägte er unseren Mut zur Wahrheit, unseren Mut zur Geschichte.

Noch wenige Monate vor seinem Tod schrieb er über die Zeit vor der Teilwiedervereinigung mit Mitteldeutschland: »Deutschland? Das war provinziell ein Terminus aus dem Arsenal der Vertriebenensprecher, der revanchistischen Hitzköpfe, der nationalistischen Bullenbeißer, der Leute von vorgestern. Machen wir uns doch nichts vor: Wer von Deutschland sprach, der bewies seine faschistoide Gesinnung, war zumindest rechtsextrem. Das alles ist nachzulesen in unseren allzeit druckreif druckenden Zeitungen und Zeitschriften - nicht zu vergessen die Verfassungsschutzberichte und Protokolle des Bundestages, die jeder von uns Satz für Satz seit 1949 studieren kann. « (Unsere gestohlene Geschichte)

Allein die Revolution der Mitteldeutschen erbrachte die Wiedervereinigung mit den neuen Bundesländern. »Wir sind das Volk - Deutschland einig Vaterland«. Diwald verwies noch in einer der letzten Publikationen treffend darauf hin: »Daß aber der Aufstand der Mitteldeutschen auch die Bankrotterklärung der westdeutschen Altparteien, der auch so sachkundig selbstgefälligen Politiker und der gesamten Bonner Deutschlandpolitik seit 1949 bedeutet hat... . Sie hätten einem fast leid tun können, diese Leute, die so sicher mit dem Wort und der Vernunft umzugehen wissen und so bar sind aller elementaren Empfindungen und jener Instinkte, die den Kern politischsittlichen Handelns bilden. Da hatten sie sich jahrzehntelang so viel zugute gehalten, nationales Deutsches brillant zu exekutieren, wenn sie in den Spiegel sahen. Hatten sie nicht in Hunderten von Reden und Zeitungsartikeln bewiesen, daß die deutsche Einheit ein Phantom der Ewiggestrigen sei? «

Die deutsche Wiedervereinigung war für die herrschenden politischen Klassen, »die unter dem wärmenden Gefieder der USA die Eier ihrer Interessen ausbrüten ließen« und »sich auf das transatlantisch gesalbte Westeuropa fixierten«, der Untergang ihrer »Fata Morgana der Deutschlandpolitik«. »Die Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit der Deutschen in Sachsen und Brandenburg, in Thüringen und Mecklenburg, in Sachsen-Anhalt und Berlin waren die Motoren des Umsturzes. Dadurch allein wurde die Einheit Deutschlands von den Zungen weg und hin zu den Fakten gebracht - jenen Fakten, die man sich in Bonn weder vorgestellt noch angestrebt hatte, ja die man nie ernstlich gewollt hatte. «

Diwalds herausragende Bedeutung und Verdienste auch in politischer Hinsicht würdigt der Sachkenner Wolfgang Venohr wie folgt: »Über jeden Zweifel erhaben sind die Verdienste des Patrioten Diwald. Er gehörte zu jener Handvoll Männer, die in den Jahren 1982 bis 1989, vor allem ab 1985, hinter den Kulissen für die Einheit Deutschlands gearbeitet haben. Mit einer Fülle von Gesprächen, Ratschlägen, Denkschriften, Vorschlägen, Schriftsätzen und Modellen zur >deutschen Frage< beeinflußten sie die Deutschlandexperten und Abgesandten des Kreml, die permanent durch die BRD reisten, und bereiteten so maßgeblich den dramatischen Wandel in der Deutschland-Politik der Sowjets vor. (Selbstverständlich gingen Kopien dieser Vorschläge auch an den Bundespräsidenten und an das Bundeskanzleramt.) Als dann im April 1989 im Kreml eine neue Deutschland-Politik beschlossen wurde, die ein Jahr später zur Wiedervereinigung führte, hatte sich das stete Bemühen dieser Handvoll gesamtdeutscher Patrioten, darunter nicht zuletzt Hellmut Diwald, voll bezahlt gemacht.«

Im übrigen sei daraufhingewiesen, daß Hellmut Diwald wie jeder wirklich überragende Geist in keiner Weise ein Dogmatiker war. So schreibt Peter Bossdorf: »Seine Lehrtätigkeit durchwehte ein anarchischer Zug, den die meisten seiner Studenten als befreiend und äußerst anregend empfanden. Ganz und gar dem Klischee des traditionellen Professors widersprechend, das im Zeitalter der Massenuniversität erst so recht Realität geworden ist, setzte er nicht auf Distanz und Autorität, sondern auf die Befähigung zu fundierter Kritik, ganz gleich, von welcher Warte sie dann erfolgen mochte.«

Politik ist nicht nur und prägt nicht nur das Schicksal, sie ist mehr als die Kunst des Möglichen. Lassen wir sie nicht länger die Kunst des Unbegreiflichen sein. Hellmut Diwald verweist darauf, »daß Politik nicht die Kunst des Möglichen ist, sondern Realisierung des Notwendigen zu sein hat«. Über die Kunst des Möglichen zur Kunst des Notwendigen!

Wir sind dazu da, um unsere Pflicht zu tun. Erfüllen wir das Vermächtnis von Hellmut Diwald, der uns zurief: »Wir sind mit dem Kopf wie in einer Reuse gefangen. Hineinstecken hat man uns können. Aber wir kommen nicht ebenso glatt wieder heraus wie hinein. Den Kopf wieder freizubekommen geht nur, wenn man mit Vehemenz die Reuse zerstört. Daß dies nicht ohne Schmerzen abgeht, versteht sich von selbst. «

Und kurz vor seinem Tod sagte er uns noch: »Die Mauer ist weg. Welch ein Triumph. Der Umsturz aber kann nur dann gesichert werden, wenn auch die inneren Mauern in Deutschland und in den Deutschen zerschlagen werden. Die Mauern, die unsere neurotische Verfassung über die Generationen hinweg aufrechterhalten sollen.« Hellmut Diwald, dem die deutsche Geschichte Lebensinhalt war, plädierte immer wieder und wieder für eine Neubestimmung der Geschichtswissenschaft. In einem seiner letzten Beiträge »Neues Deutschland - Neues Geschichtsbild« analysierte er nochmals treffend die Verkommenheit, wenn er darlegte: »Wir gehen mit der Schwermut von Rindern auf den Pfaden der Geschichte, die von den Siegern des 2. Weltkrieges festgelegt wurden. Die Geschichtsschreibung legt sich selbst den Strick um den Hals, wenn sie Schuldbekenntnisse vor die Überprüfung historischer Fakten stellt. « Und an anderer Stelle: »So leben wir in einer Atmosphäre beständiger Irreführungen und Entstellungen, verdeckter und als demokratische Votivbilder aufgeputzter Unwahrheiten. « Einer seiner engsten und würdigsten Freunde, Alfred Schickel, berichtet uns noch über das letzte Bemühen Diwalds: »Noch zwei Tage vor seinem Tod rief er seine Freunde zu verstärkter Forschungsarbeit auf und warb um materielle Unterstützung der aufwendigen Archivstudien. « Noch auf dem Sterbebett plagte ihn das Schicksal seines Volkes. Und sein letztes Vermächtnis lautet: »Wer sein Recht nicht wahrnimmt, gibt es preis! «

Hellmut Diwald diente seinem Volk bis zum letzten Atemzug.
M.A. Rolf-Josef Eibicht.

 

Hellmut Diwald und die deutsche Geschichtsschreibung. Seine Person, Leistung und Bedeutung, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Alfred Schickel.

Hellmut Diwald und die deutsche Geschichtsschreibung

„Selten widerfährt einem Wissenschaftler eine so unterschiedliche Aufmerksamkeit, wie sie Prof. Dr. Hellmut Diwald bis zu seinem Tode beschieden war. Die veröffentlichten Nachrufe machten es noch einmal deutlich. Ihre Inhalte reichten von ehrlicher Trauer bis zu gehässiger Häme. War er den einen der größte deutsche Geschichtswissenschaftler der Gegenwart, drängten ihn die anderen an den äußersten Rand der zeitgenössischen Historiographie. Zählen die einen nach Millionen, halten sich die anderen in numerischen Grenzen, erreichen aber über ihre Massenmedien Millionen und rekrutieren weitgehend die veröffentlichte Meinung. Hätte er sich selber einzuordnen, würde er das Prädikat des größten deutschen Historikers der Gegenwart weit von sich weisen und es soundso vielen anderen Geschichtswissenschaftlern zuschreiben.

Aber gerade auch diese Bescheidenheit gehört zur Größe seiner Persönlichkeit, wie er auch in seiner herzlichen Liebenswürdigkeit eine Ausnahmeerscheinung unter seinesgleichen war. Fast nur noch übertroffen von seiner selbstlosen Tapferkeit, die ihn buchstäblich bis in die letzten Lebensstunden an die Freunde und das gemeinsame Vermächtnis denken und wirken ließ, wovon der Schreiber dieser Zeilen ein bewegendes Zeugnis in Obhut hält

Seinen Zeitgenossen ist Hellmut Diwald in erster Linie als Verfasser zahlreicher geschichtlicher Werke bekannt oder als Redner auf Tagungen und Kongressen zum persönlichen Erlebnis geworden. Denn der aus dem südmährischen Schattau stammende Ingenieurssohn war ein ebenso brillanter Schreiber wie begnadeter Redner, dem fast jeder Satz zu einer druckreifen Aussage geriet, Gaben, welche den meisten seiner Kollegen und Konkurrenten in dieser Verbindung abgehen.

Dabei schien der Lebensweg den jungen Hellmut Diwald zunächst in die Berufsrichtung seines Vaters Alois zu weisen und über die Stationen der Real- und Oberrealschule sowie des Polytechnikums in Nürnberg zum Maschinenbau zu führen, legte er doch in der Frankenmetropole auch seine Abschlußexamina ab, um sich dann an der Universität Erlangen der Religions- und Geistesgeschichte sowie der Neueren und der Literaturgeschichte zuzuwenden. Kein Geringerer als der große Religionsphilosoph und Preußenkenner Hans-Joachim Schoeps promovierte ihn 1952 zum Doktor der Philosophie - wie überhaupt einmalig prägende Menschen seine Lebensabschnitte begleiteten.“

„Sebastian Haffner, unabhängiger Geist und Historiker aus Leidenschaft, stand ihm dann als streitbarer Partner in einer populären Geschichtssendung des Zweiten Deutschen Fernsehens kongenial zur Seite, bis die Pflege der Historie schließlich auch auf dieser Fernsehstation zur »Volkspädagogik« mutierte und in die »Trampelpfade der Umerziehung« (Diwald) geriet.

Hellmut Diwald hatte jedoch zu dieser Zeit bereits ein ihm gemäßeres Forum geschichtsvermittelnden Wirkens erreicht und lehrte seit 1965 an der Universität Erlangen - Nürnberg Mittiere und Neuere Geschichte. Seine Quellen-Edition des Nachlasses von Ernst Ludwig von Gerlach, einem christlichkonservativen Politiker und Zeitgenossen Bismarcks, in zwei Bänden, und eine Dilthey-Monographie sowie Studien über Ernst Moritz Arndt. Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins und Die Entwicklung der Freiheit und der Toleranz in der abendländischen Geschichte hatten ihn nach seiner Habilitation im Jahre 1958 als hervorragenden Wissenschaftler qualifiziert. Daß sich Prof. Dr. Hellmut Diwald nicht mit seinen Studenten im elfenbeinernen Turm der Universität verschanzte und die Gegenwart beim Betrachten der Vergangenheit verstreichen ließ, bezeugen seine zahlreichen Buch Veröffentlichungen in jenen Jahren. Dabei wurde gleich der von ihm verfaßte erste Band der Propyläen-Geschichte Europas mit dem Titel Anspruch auf Mündigkeit (= Zeit von 1400 bis 1555) ein großer Erfolg und wies seinen Autor als einen ebenso sachkundigen wie freimütigen Verfasser aus, auch wenn ihm passionierte Kritiker übelnahmen, daß er nicht allzu viel von langatmigen geschichtsphilosophischen Exkursen hielt. Das Ausweichen in zeitlose Unverbindlichkeiten und intellektuelle Gedankenspielereien war nicht Hellmut Diwalds Art, wenn es um die Vergegenwärtigung der Vergangenheit ging. Der Anspruch des Lesers, sachlich und wirklichkeitsgetreu über die beschriebene Zeit informiert zu werden, erschien ihm wichtiger als die Gelegenheit, vor einem Massenpublikum mit geistreichen Apergus brillieren zu können. Dieser zur Eitelkeit neigende Hang war ihm fremd. Nicht, weil er solcher Darstellungskunst nicht fähig gewesen wäre oder sein ursprünglicher Ausbildungsgang ihn auf sachlich-trockene Ausdrucksweise begrenzt hätte, sondern weil er sich den Mitmenschen gegenüber in erster Linie zur Überlieferung der erforschten und gesicherten Wahrheit verpflichtet fühlte. »Wenn diese Menschen in erster Linie unterhaltsame Geschichten lesen wollen, greifen sie zu historischen Romanen und nicht zu einem wissenschaftlichen Werk, das zudem oft noch seinen Preis hat«, merkte er einmal in einem Gespräch über Geschichtsschreibung an und fügte hinzu, daß »freilich auch der Historiker sich bemühen sollte, verständlich zu bleiben, weil er der Vermittler zwischen dem Gestern und dem Heute ist und diese Verbindung nicht durch eine Exklusivsprache beeinträchtigen« dürfe. Eine Forderung, die Hellmut Diwald zuvörderst selber erfüllte und deren Beachtung ihm die Leser durch große Nachfrage lohnten. Wer ihm etwas über die Schulter auf das Manuskript-Papier schauen oder Stegreifreden von ihm hören konnte, stellte allerdings bald fest, daß ihm die verständliche Ausdrucksweise und der fesselnde Darstellungsstil gleichsam angeboren waren und keiner mühsamen Stilübungen bedurften. So konnte er es sich leisten, den ersten Propyläen - Band nach seinen Vorstellungen zu gestalten und die vordergründig an ihm geübte Kritik zu riskieren.“ …

 

… „Die große Nachfrage nach seinen Büchern seitens der Leser enthob ihn jedoch der Sorge, durch die veröffentlichten Kritiken ins geistige Abseits gestellt zu werden, konnte sich doch kaum ein zeitgenössischer Geschichtsschreiber eines solch großen Zuspruchs durch die Leser erfreuen wie gerade er. Dabei schrieb er seinem Publikum keineswegs nach dem Mund, sondern brachte zu Papier, was seine Forschungen an neuen Erkenntnissen zutage gefördert hatten und was er für mitteilenswert hielt - sei es dem Zeitgeist gelegen oder ungelegen. Das verstanden auch bald seine Leser und dankten es ihm, indem sie seine Werke schnell zu Bestseller machten und schon gespannt auf das nächste Buch warteten.

Wenn man von einem »Zugeständnis« Hellmut Diwalds an sein Lesepublikum sprechen will, dann war es sein Bemühen um eine verständliche Darstellungsweise. Er verschanzte sich nicht hinter umständlichen Fachausdrücken, sondern brachte seine Erkenntnisse und Forschungsergebnisse dem Leser in klaren und zugleich geistvoll geschliffenen Worten nahe, ohne ihm eine Meinung oder bestimmte Deutung aufzudrängen. Historiographisches Meinungsführertum war Hellmut Diwald stets verdächtig. Geschichtskenntnis und Geschichtsvermittlung begriff er eher als geistiges Kapital und »Dienstleistung« an den Mitmenschen, als ein Angebot der Wissenschaft, das diskutiert und angenommen, aber auch ausgeschlagen werden kann.

In diesem Verständnis seines wissenschaftlichen Arbeitens und Wirkens nahm er auch vorgebrachte Kritik auf und setzte sich mit ihr aufgeschlossen auseinander. Schließlich fühlte er sich nicht im Alleinbesitz der geschichtlichen Wahrheit, sondern suchte im austauschenden Für und Wider der Wirklichkeit der Vergangenheit nahezukommen. Die von ihm und Sebastian Haffner gestaltete Fernsehserie verdeutlichte beispielhaft dieses Bemühen. Ihre Beendigung stellte eine Verarmung dieses Mediums dar und konnte auch durch die allsonntägliche Viertelstunden-Sendung nicht ersetzt werden.“ …

 

… „Mit Traktaten wie Mut zur Geschichte und Geschichte macht Mut versuchte er, seine deutschen Landsleute aufzurichten und vor der geistigen Selbstentäußerung zu bewahren. Große Werke wie Wallenstein. Eine Biographie oder Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches sollten seinen deutschen Lesern verdeutlichen, wie ungleich länger und größer die deutsche Geschichte ist als die 12 Jahre NS-Herrschaft. Und die beiden Luther-Bücher (Biographie und Lebensbilder) wollten deutlich machen, welchen kirchlich-religiösen Impuls dieses Land Europa und der Welt gegeben hat, sozusagen überzeugender Kontrast zur beleidigenden Behauptung, »Der Tod« sei »ein Meister aus Deutschland«.

Für diese noble Korrektur einer Kollektivbeschuldigung mußte sich Hellmut Diwald nicht selten auch von Möchtegern-Historikern eines norddeutschen »Nachrichten-Magazins« attackieren und in die »rechte Ecke« weisen lassen. Wie schon die giftigen Angriffe vieler Berufskollegen gegen seine Geschichte der Deutschen vermochte Diwald auch diese unqualifizierten Anwürfe zu ertragen.

Der 9. November 1989 entschädigte ihn für viele Bitterkeit, die er in den zurückliegenden zehn Jahren hatte hinnehmen müssen und die ihn manchmal bis an den Rand seiner physischen Existenz gebracht hatte. Gleichwohl ist sein 1990 erschienenes Buch Deutschland einig Vaterland nicht ein pures Hosiana auf die bundesdeutsche Staatskunst, die endlich die Wiedervereinigung zustande gebracht habe, sondern mehr ein Trotz-Ruf an die Deutschen, sich den Zusammenhalt nicht durch Kleinlichkeiten und Streitereien mies machen zu lassen. Denn unter der »Wiedervereinigung Deutschlands« verstand er mehr als nur den Beitritt der »DDR« und Ost-Berlins zur Bundesrepublik gemäß einem Grundgesetz-Artikel, den man flugs danach aus der Verfassung strich.

In einem vertraulichen Gespräch mit einem hochrangigen Abgesandten der seinerzeitigen Moskauer Akademie der Wissenschaften, der ihn nach den wünschenswerten Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands fragte, beschrieb Hellmut Diwald im Sommer 1987 seine Vorstellung von einem geeinten Deutschland und war erstaunt, daß er auch über den Verbleib des Sudetenlandes etwas sagen sollte. Für seinen sowjetischen Besucher war dieses Gebiet »Jahrhunderte altes deutsches Land«, über welches infolge Fehlens eines Friedensvertrages noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.

Das waren Eröffnungen der ideologischen »Gegenseite«, die Diwald nach dem Selbstverständnis seiner Landsleute und ihrer politischen Repräsentanten fragen und deren »Selbstbescheidung« in der Wahrnehmung deutscher Interessen immer zweifelhafter erscheinen ließen.

Von diesen und ihren akademischen Gefolgsleuten behend zum »Außenseiter« erklärt - seine Geschichtsbetrachtung als »reichisch-romantische Sicht« verfremdet -, fand er sich in der Einordnung mancher »Kollegen« und »Nachrufer« gar in der Riege derer, welche »die Erinnerung an die älteren Epochen der deutschen Geschichte durch die Leugnung oder Abschwächung der späteren Verbrechen« erkaufen, und schlußendlich in die Ecke der rechtsradikalen Schreibtischtäter gestellt.

Es gab Verunglimpfungen, vor denen ihn nicht einmal die Pietät eines Nachrufes schützte, wie manches Echo auf seinen Tod vor Jahresfrist erschreckend bezeugte. Die Überfülle ihrer Lästerungen des Toten und seines Werkes steht im Mißverhältnis zur Dürftigkeit ihrer Antworten auf Diwalds Fragen nach der Zukunft der Deutschen.

Noch wenige Wochen vor seinem Tod gab er zu bedenken, was denn die Schlesier, Pommern, Ost- und Westpreußen seien, wenn man heute die Thüringer, Sachsen und Brandenburger als »Ostdeutsche« bezeichne, um in feiner Ironie anzufügen: »Seien wir froh, daß wir als Nordböhmen, Egerländer oder Südmährer das einstige Heimatland nicht auch noch nachträglich aus dem Namen herausoperiert bekommen können!«

Im Gegensatz zu vielen seiner Kritiker beließ es Hellmut Diwald nicht bei brillanten Formulierungen und genialen Geistesblitzen, sondern legte auch praktisch Hand an, wenn es darum ging, eine Initiative zugunsten der unbefangenen Erhellung der Geschichte zu fördern. Die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) ist ein solches Beispiel seiner Aktivität. Vor dreizehn Jahren gegründet, erfreute sie sich ohne Unterlaß seiner besonderen Fürsorge.

»Hoffentlich kann ich den Schreibtisch noch ordentlich aufräumen, bevor ich gehen muß«, vertraute er einem Freund an, als er von seinem unheilbaren Zustand erfuhr. Jetzt ist er von uns gegangen, wohin ihm seine Frau Susanne vor Jahren vorausgegangen war. Sein wohlbestellter Schreibtisch bietet der Nachwelt auch ohne die noch für die nächsten Jahre in Aussicht genommenen Buchvorhaben ein Vermächtnis, das seinesgleichen in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung sucht.
Dr. phil. Alfred Schickel

 

Ein Gedenkblatt für Hellmut Diwald als „unzeitgemäße Betrachtung“, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Kurt Kluxen.

Ein Gedenkblatt für Hellmut Diwald als „unzeitgemäße Betrachtung“

1. Der Fall des Historikers Hellmut Diwald wäre für Nietzsches Unzeitgemäße Betrachtungen (1873/76) oder für Mösers PatriotischePhantasten (1767/86) ein Anlaß zu weitgehenden Erörterungen gewesen, da er nicht nur die Fachwelt der deutschen Historiker erregte, sondern auch die öffentliche Meinung in Bewegung setzte und zur Stellungnahme trieb. Dabei kam es zu einer heftigen Polemik, die streckenweise in eine Diffamierungskampagne ausartete, was sachbezogene Diskussionen erschwerte und zeitweilig innerhalb der Historikerzunft eine Lagerbildung auslöste, die eine unzeitgemäße oder auch patriotische Kritik nahe legt.

Man denkt unwillkürlich an ein anderes Verdikt der deutschen Historie im 19. Jahrhundert, als der junge Wilamowitz-Moellendorff Nietzsches Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik (1872) in der Luft zerriß und dessen Karriere als Universitätslehrer für immer beendete. Das geschah aus dem Gesichtswinkel der Klassischen Philologie, die sich gegen den Sprengsatz jenes erzürnten »Pulverkopfs« erfolgreich behauptete. Dabei ging allerdings dieser neuhumanistischen Wissenschaft eine wichtige Dimension verloren, nämlich das »Dionysische«, als dessen Anwalt sich Nietzsche gefühlt hatte.

Der Fall Nietzsche ergab sich aus der Aufsässigkeit eines Denkers von Rang gegen die hochmütige Selbstgewißheit und Selbstgefälligkeit der humanistischen Kollegenschaft, bewegte sich jedoch immer noch im Rahmen der Wissenschaft.

Ganz anders verhielt es sich mit dem deutschen »Historikerstreit« von gestern, der sich um die Länge des Büßerkittels drehte, den die deutsche Historie sich verordnen sollte. Die schuldbewußten und bußwilligen Moralisten schwangen die Auschwitz- und Antifaschismus-Keule und erklärten dem renommierten Historiker und Philosophen Ernst Nolte den Krieg, weil er seiner Verpflichtung auf Wissenschaft und Wahrheit den unbedingten Vorrang einräumte. Am Ende (1989) sprachen die empörten Moralisten nur noch über Nolte, aber nicht mehr mit Nolte.

2. So war es denn auch, aus anders gelagerten Gründen, zu guter Letzt im Fall Diwald. Man sprach nur über ihn, aber nicht mit ihm. Man griff zuerst seine Wissenschaft und dann auch seine Weltanschauung an. Dabei plädierte Diwald lediglich für eine Rückbesinnung, welche den Dimensionen menschlichen In-der-Welt-Seins und der Verwurzelung in seiner Herkunftswelt gerecht wurde. Die Wiederentdeckung patriotischer Politik in einer Zeit der Orientierungslosigkeit und des Werteverfalls war sein Thema, welches er, an den obsoleten Ideologien von rechts und links vorbei, im konkreten historischen »Ereignis« vorfand, in der Spiritualität geschichtlicher Vergegenwärtigung und Sinnfindung, was für ihn das Eigentliche der Historie oder ihre Wahrheit ausmachte.

Das war von Diwald gar nicht polemisch gemeint, wirkte aber wie ein Steinwurf in einen trüben Tümpel, der den Morast aus der Tiefe aufwirbelt. Diwald galt als Unruhestifter und als Ärgernis für die Zunft. Die große Resonanz im Publikum und die heftige Abwehr aus den Reihen der Zunft verrieten eine pathologische Komponente des Konflikts, an dem vielleicht auch ein übersteigerter Rechtfertigungsbedarf der Fachwelt nach dem sichtlichen Kompetenzverlust von 1968 und 1989 beteiligt war.

In einer stillen Stunde hat Diwald eingestanden, wie tief das Ausmaß der persönlich ausgemünzten Polemik ihn getroffen hatte. Er erfuhr am eigenen Leibe, was »strukturelle Gewalt« ist. Sie trieb ihn zu unglaublichen Leistungen an wie etwa die sechs Prachtbände über Die großen Ereignisse. Fünf Jahrtausende Weltgeschichte in Darstellungen und Dokumenten (1990), bis sein Wettlauf um Leben und Erfolg bald zu einem Wettlauf mit dem eigenen Tod wurde. Er war ein aufrechter Einzelkämpfer, und seine letzten Telefonate an die nächsten Freunde waren in ihrer Mischung von Tristesse und Noblesse/ von Trauer und Treue unvergeßlich und erschütternd.

Dieser mißlichen Situation war die irenische Natur Diwalds nicht gewachsen. Er hatte gelernt zu leiden, aber nicht, sich zu wehren. Er öffnete jedem bereitwillig seine Tür, aber er war nicht darauf gefaßt, daß ihm seine Gegner die Fenster einschlugen. Seine Zurückhaltung machte ihn keineswegs zum Misanthropen; er rief vielmehr mitten in seiner Bedrängnis zum Mut zur Geschichte (1989) auf, die viele der professionellen Vergangenheitsbewältiger den Deutschen vergällen wollten.

3. Hiermit war klar geworden, daß herkömmliche Begriffe unerwünscht waren und Sündenstrafen nach sich zogen. Jeder Rechtfertigungsversuch zugunsten der eigenen Landsleute erregte bereits Unwillen und Empörung. Es galt als ungehörig und unerhört, wenn irgendwelche Tabu-Zonen in Wort oder Schrift angetastet oder in die Argumentation eingebracht wurden.“ …

 

… „8. Noch andere Gesichtspunkte sind ins Feld zu führen, um dem Geisteswissenschaftler Diwald Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Von der Welt her gesehen, ist dieses Universum undenkbar und unfaßbar ohne einen Betrachter, der sie ansieht. Er ist notgedrungen immer mitzudenken. Man kann auch sagen: Die Welt ist ohne ein Wissen um sie nicht begreiflich. Und dann auch Der Mensch ist kein Zufall, sondern wie eine Konsequenz ihrer Verständigkeit; der Mensch ist einer, der um sich und die Schöpfung weiß. Auch die Welt A als Zufall zu setzen ist fragwürdig; denn der Kosmos ist so abgestimmt, als wäre die Existenz denkender Wesen von vornherein eingeplant gewesen. Es ist auch nicht ganz falsch zu sagen, daß die Mathematik die Natur zur Vernunft gebracht hat oder die Mathematiker die Physiker zur Räson gebracht haben oder umgekehrt. Die Welt hat ihre Geschichte, die immer mitgedacht werden muß, wenn sie auch prinzipiell als ewig »Unvollendete« genommen werden muß.

Diwalds Fünftausendjährige Weltgeschichte der großen Ereignisse ist also eine denkbare und erlaubte Möglichkeit der Weltorientierung, zumal die Geschichtswissenschaft die Welt und das Weltall auch als Begründungszusammenhang erkennbar machen will, aus dem sich Geschichte konstituiert. Sie ist jedenfalls weit mehr als ein Kausalzusammenhang oder gesetzter Zweckzusammenhang, nämlich ein Sinnzusammenhang oder Kommunikations- oder Sprachzusammenhang, ein verstehbarer Zusammenhang, dem es weniger auf die Natur oder den Zweck einer Sache im einzelnen ankommt als auf die Vernunft der Sache im Ganzen.

Diwald betreibt indirekt und unausgesprochen eine Rehabilitation der Geschichtsschreibung über seine eigene praktische Philosophie, welche den jeweiligen Ereigniszusammenhang als Ausdruck einer weltverändernden Praxis im Dienst menschlicher Daseinsbewältigung oder des zeitlichen In-der-Welt-Seins ansieht und auf den Begriff bringt. Dazu bedarf es einer sprachlichen Bewältigung, bei der alle verfügbaren Materialien zu Zeugen aufgerufen werden, was sie »an sich« gar nicht sind. Das »historische Ereignis« wird gewissermaßen inszeniert als Geschichte in einer Geschichte; freilich nicht nach Willkür, sondern mit der Absicht auf Wahrheit, und zwar geschichtliche Wahrheit, die nicht »ewig«, wohl aber Moment eines Ganzen, als »Erinnerung« oder »Vergegenwärtigung« für uns »aufgehoben« ist.“ …

 

… „12. Ein Geisteswissenschaftler wie Hellmut Diwald schreibt der Religion eine bedeutende, wenn nicht die größte Rolle in der Weltgeschichte zu. Von ihr aus wird überhaupt das Thema Weltgeschichte erst ausgesprochen und die Einbindung in Stammes verbände oder Kulturkreise zuerst überwunden. Für Hegel ist die Religion eines Volkes der tiefste Ausdruck seiner Lebensperspektiven, und nach Arnold Toynbee kommt aus den Religionen eine die Kulturkreise überbrückende dynamische Kraft. Außerdem haben alle Kulturen, die diesen Namen verdienen, ihre Heiligtümer, deren Verunglimpfung als Angriff auf ihre Identität angesehen wird. Das ist schon daraus zu ersehen, daß die Gesetze gegen Gotteslästerung zum ältesten Bestandteil menschlicher Rechtsprechung gehören.“ …

 

… „13. Damit greifen wir darauf zurück, daß Hellmut Diwald in erster Linie ein Geisteswissenschaftler aus Überzeugung war. Diese »Überzeugung« war jedoch keine Voreingenommenheit, sondern das Ergebnis bitterer Lebenserfahrungen und schwerer Schicksalsschläge. Der Verlust von Heimat und Herkunftswelt wurde für ihn ein Weg durch trostlose Verlassenheit und Verlorenheit, aus welcher er sich in seiner inneren Auseinandersetzung mit und gegen die dämonischen Gewalten der Vernichtung und Besessenheit zu befreien wußte. Am Ende hielt er am Vorrang des Geistes und der menschlichen Verantwortung fest, also daran, daß es nicht nur Schicksal, sondern immer auch menschliche Schuld gibt, wenn von Geschichte gesprochen wird. Gerade hieraus öffnete sich für ihn der Blick in die Abgründe menschlicher Bosheit und Hybris, die bei geschichtlichen Entscheidungen immer mit im Spiel sind. Dabei war für ihn als Geschichtswissenschaftler die Beschäftigung mit dem »Geist« in der Geschichte mehr ein persönliches Purgatorium als eine Abrechnung aus der Gegenwartsperspektive.

Ihm ging auf, daß es zum menschlichen In-der-Welt-Sein gehört, daß der Geist auch irren kann und oft Anlaß äußerer und innerer Entzweiung geworden ist. Von einer »Herrschaft der Vernunft« konnte man nicht einmal im Zeitalter der Aufklärung sprechen, und von einer »Erziehung des Menschengeschlechts«, wie sie Gotthold Ephraim Lessing (1780) so gepriesen hatte, ließ sich nur in einigen Phasen der Menschheitsgeschichte, besonders in bezug auf das Werden des Abendlandes, sprechen. Selbst eine sprachlich hochentwickelte Lebensgemeinschaft schloß Täuschung und Lüge nicht aus.

Manche Historiker sehen in der Geschichte nur eine Kette von Gewalt und Unrecht, von Bosheit und Unglück, wo nur selten Inseln des Friedens und des Rechts auftauchen. Dagegen ließe sich eine Gegenrechnung aufstellen, die weniger spektakulär ist, aber durchaus die Waage zu halten vermag. Es gibt kostbare Errungenschaften und Fortschritte, denen wir heute unseren Lebensstil und unser Kulturniveau verdanken. Nur wer sich selbst in eine große Vergangenheit hineingestellt weiß, gewinnt daraus Perspektiven für die eigene bewußte Lebensgestaltung.“
Prof. Dr. phil. Kurt Kluxen

 

Freund Hellmut Diwald – Persönlichkeit und Ausstrahlung, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von RICHARD W. EICHLER.

Freund Hellmut Diwald – Persönlichkeit und Ausstrahlung

»Man kann auch in einer Welt, die so verkommen ist wie die unsrige,
ein lebenswertes Leben führen. Es genügt, daß man denkt,
daß man sich nicht verkauft, daß man auf seiner Würde besteht
und den Unwürdigen nicht den kleinen Finger reicht
auch unter Opfern nicht.«
       Joachim Fernau1

Je näher uns ein Mensch stand, desto zögernder wagen wir über ihn zu sprechen. Unser Einvernehmen wird mir daran deutlich, daß ich mich oft im Stillen frage: Wie würde Hellmut Diwald in diesem Fall urteilen, wie sich entscheiden? Solche Nähe läßt Scheu aufkommen - ist das Lob vom persönlichen Wohlwollen bestimmt, ist der Einwand gerecht, zu milde? In eine Reihe mit Beiträgen gestellt, deren Verfasser sachlicher zu werten vermögen, wird die Freundesstimme an Glaubwürdigkeit gewinnen, darauf vertraue ich.

Zeiten der Verwirrtheit, die unser geistesverwandter Joachim Fernau noch derber verkommen nannte, zwingen zu Verzicht auf ein Sich-geborgen-Fühlen in der Menge; die wird nur in glücklichen Momenten von großen Gefühlen zusammengeführt, danach geht sie wieder den steuernden Meinungsmachern in die Netze. So befolgen wir den Rat Goethes, »Geselle dich zur kleinsten Schar«. »Einen treuen Freund gefunden haben heißt einen ehrlichen Mann gefunden haben, und die gibt's, sage der Misanthrop, was er wolle.« So tröstet uns angesichts seines Todes: »Es kommt nicht darauf an, daß die Freunde zusammenkommen, sondern darauf, daß sie übereinstimmen.«2

Ich erinnere mich der ersten Begegnung mit Hellmut Diwald mit großer Deutlichkeit. Es war der 27. Januar 1970, er hielt einen Vortrag mit dem Titel »Ernst Moritz Arndt - Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins« vor der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung am Schloßrondell München-Nymphenburg. Die Würdigung des in unseren Tagen verschwiegenen Volksmannes - sie erschien danach auch in gedruckter Form3 - unterschied sich wohltuend von den oft phrasenreichen Lobreden.

Mit der Kulturarbeit für die Sudetendeutschen beauftragt, machte ich auf diesen bemerkenswerten Landsmann aufmerksam. Ein Vorstandsmitglied meinte, Hellmut Diwald sei nicht zugänglich. Es war mir eine Genugtuung, diese Behauptung widerlegen zu können. Es währte aber einige Jahre, bis ich mich mit dem Vorschlag, den Historiker durch eine Ehrung in der Volksgruppe besser bekanntzumachen, durchsetzen konnte. Beim Sudetendeutschen Tag 1978 in München wurde ihm der Kulturpreis für Wissenschaft der Sudetendeutschen Landsmannschaft verliehen. Damals lernten wir auch seine liebenswerte Frau, Islamistin an der Universität Würzburg, kennen.

Hellmut Diwalds Gattin lag bereits krank darnieder, als der Wissenschaftler am 25. Oktober 1983 die Kant-Plakette der Deutschen Akademie für Bildung und Kultur aus der Hand ihres Präsidenten Karl Günther Stempel im Münchner Künstlerhaus entgegennahm und ich ihm die Laudatio halten durfte4. Tragisch, daß ihm der Schillerpreis des deutschen Volkes 1992 bereits an seinem Krankenlager übergeben werden mußte.5

Die selbstgewählte Pflicht

Als Diwald sein Studium der Ingenieur-Wissenschaften erfolgreich abgeschlossen hatte, waren Techniker noch gesuchte Fachleute; dessen ungeachtet befand er, daß ihm dieses Feld zu lebens- und menschenfern erscheine, und bewältigte das Studium der Geschichte und Philosophie in der kürzest möglichen Frist. Ich erwähne diese Tatsache - ohne den Biographen ins Gehege kommen zu wollen -, weil hier die Universalität dieses Mannes ihre Erklärung findet. So konnte ich mir zum Beispiel bei ihm Rat holen, wenn es um die Geltung eines Mathematikers ging, den in einen Akademieband aufzunehmen mir empfohlen worden war. Erst recht im Kulturellen besaß Hellmut Diwald einen beneidenswerten Überblick, treffsicheres Urteil auf mehreren Gebieten. Selber sprachmächtig (wie es seine Bücher beweisen, die auch durch den Vorzug ihrer literarischen Gestalt so viele Leser fanden, was wiederum Ursache für mancherlei Kollegenneid war), hat er der Ereignis-, Kriegs- und Diplomatiegeschichte stets die geistes-, kultur- und kunstgeschichtlichen Erscheinungen der Zeit gleichberechtigt zur Seite gestellt.

Im Nachkriegsdeutschland sich der Erforschung und Deutung auch der jüngsten Geschichte zu verschreiben ist ein entweder die Existenz oder den Charakter bedrohendes Unterfangen. »Recht, Ehre, Tugend und Gewissen hat der Tyrann dir aus der Brust gerissen«, klagte einst Theodor Körner, und wer könnte guten Gewissens behaupten, daß es uns besser ergeht? Was man zu Metternichs Zeiten zu Unrecht »Demagogenverfolgung« nannte, mußte damals wie heute Patriotenverfolgung heißen. Rheinbund-Denken, Denunziantentum, Duckmäuserei - das war den Freiheitskämpfern der heroischen Zeit so zuwider, wie es den Aufrechten vom Schlage Diwalds heutzutage ist.

Viele Mitglieder der deutschen Historiker-Zunft sind bereits zu Lebzeiten auf beschämende Weise widerlegt worden. Was einem Politiker (kaum aber einem Staatsmann) verziehen werden kann, daß er Kompromisse mit der Wahrheitsliebe schließen zu müssen glaubt - für jeden, der auf wissenschaftliches Ethos und persönliche Ehre Wert legt, sind Verfälschungen aus Opportunität ein Makel. Das Jahr 1945 war eine solche Charakterprobe, die nicht alle bestanden.

»Das historische Erkennen. Untersuchungen zum Geschichtsrealismus im 19. Jahrhundert« - das war als thematisch-grundsätzlicher Ausgangspunkt der Arbeit richtungweisend. Ebenso vorbildhaft wurde für Diwald das gründliche Eingehen auf Wilhelm Dilthey und dessen Trachten, die Geschichtsforschung in der Nachbarschaft der Philosophie zu halten und einem platten Positivismus zu entgehen.

Die Kenntnis dieser Positionslichter macht den Werdegang des Historikers Diwald begreiflich. Strenge in der Forschung und im Umgang mit den Fakten, Verknüpfung der politischen, wirtschaftlichen und geistesgeschichtlichen Erkenntnisse, Anschaulichkeit der Darbietung - das hat seine Veröffentlichungen über den Kreis der Fachgenossen hinaus in die Hand vieler Gebildeter gebracht. Der Zusammenhang seiner Lehrbereiche Mittlere und Neuere Geschichte ist an vielen Stellen zu spüren; Kästchen-Denken, die Verlautbarung willkürlicher Ab-heute-beginnt-ein-neues-Zeitalter-Thesen wäre ihm nicht eingefallen; das Verkünden eines »Endes der Geschichte« gar, wie es Francis Fukuyama vom State Department mit unnachahmlicher US-Naivität im Sommer 1989 tat (um schon im folgenden Herbst widerlegt zu sein), konnte Hellmut Diwald nur belächeln.

»Dem Vaterland zu nutz und gut
die Wahrheit mich bewegen tut«

das durfte der Streiter für das Reich und >Journalist< Ulrich von Hutten mit gutem Gewissen schreiben - für den Historiker muß die Objektivität an erster Stelle stehen, sie sollte ihn aber auch nicht verlassen, wenn seine Einsichten für sein Land sprechen. Für den ernsthaften Wissenschaftler kann die Wahrheitsuche nicht für beendet erklärt werden, mit der Formel »Offensichtlichkeit« kann keine Behauptung der Nachprüfung entzogen werden. »Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche. Sollte einer auch einst die vollkommenste Wahrheit verkünden, wissen könnt’ er das nicht. Es ist alles durchweht von Vermutung. Nicht von Beginn an enthüllen die Götter dem Sterblichen alles, aber im Laufe der Zeit finden wir suchend das Bess're.« Welch kluge Bescheidenheit besaß Xenophanes!

Es gibt offensichtlich zwei Arten von Betrachtern der Zeitgeschichte. Die eine (häufiger vorkommende) bestätigt mit ihren Deutungen das Geschehene; die zweite wird in ihren Deutungen vom Geschehen bestätigt. Unsere jüngste Vergangenheit erlaubte sich die Caprice, ein von niemandem erwartetes Ereignis (keiner behaupte anderes) - den friedlichen Aufstand der Mitteldeutschen als Auslöser fallender Mauern und weltweiten Umbruchs - glückhaft-freudenvoll über uns hereinbrechen zu lassen. Nie wurden Geheimdienste, Politologen und Ideologen blamabler genasführt. Die Druck- und Filmdokumente der großen Verlegenheit werden noch Generationen ergötzen. Und doch war der Dammbruch historisch zwangsläufig und, Ideologie beiseite gelassen, von tiefer Gerechtigkeit.

Jener so folgenreiche, für Deutschland erfreuliche Handstreich des Schicksals, nach Jahrzehnten der Demütigung durch nicht weniger schuldbeladene Sieger, bewies, daß auch noch so verfeinerte Beeinflussung es nicht vermocht hatte, das Bewußtsein einer Gemeinsamkeit der Deutschen zu tilgen. Wir waren jenes Land, durch das die Ideologen von Ost und West den scharfen Schnitt getan hatten, ihn mit Agitation, Beton und Stacheldraht verewigen wollten. Erst in den Schicksalstagen des Aufbrechens erfuhren wir, wie wenig aufrichtig die Fensterreden der Parteifunktionäre und unserer europäischen Verbündeten gewesen waren. Ein Stück Wahrheit enthüllte sich.

Hellmut Diwald durfte sich in seiner Zuversicht bestätigt fühlen, und das hat die schwere Zeit seiner todbringenden Krankheit aufgehellt. Auch darin fühlten wir uns verbunden: Dem gewerbsmäßigen Pessimismus der Medien und der von den Wortführern der veröffentlichten Meinung verbreiteten Depressivität setzten wir die überzeitliche Weisheit entgegen, die von vielen Großen auf uns gekommen ist, so wenn Goethe (dem manche absichtsvoll Nationalbewußtsein absprechen wollten) zur Standhaftigkeit mahnt: »Niemals darf ein Mensch, niemals ein Volk, wähnen, das Ende sei gekommen. Güterverlust läßt sich ersetzen. Über anderen Verlust tröstet die Zeit. Nur ein Übel ist unheilbar: Wenn ein Volk sich aufgibt!«6

Ich verspreche Dir Unsterblichkeit

Hellmut Diwalds Leistungen wurden nicht mit dem Ziel vollbracht, sich in Büchern Denkmäler zu setzen und in seinen Schülern eine Gemeinde zu schaffen. Dazu waren die seinem Freimut entgegenstehenden Kräfte zu einflußreich, und er hat viel Kraft in der Abwehr boshaft-ungerechter, oft ehrverletzender Angriffe verbraucht.

Nichts war Diwald fremder als ein hemdsärmeliger Kampf um Positionen und Einfluß. Was er erreicht hatte, verdankte er seiner hohen Intelligenz, geistigen Universalität, fachlichen Maßgeblichkeit und seinem außerordentlichen Fleiß. Es ist eine oft gebrauchte Wendung, vom ahnungsvollen Bemühen zu sprechen, das auf die Vollendung einer Lebensaufgabe hindrängt; bei Diwald scheint sie berechtigt zu sein. Sein Werk voranzutreiben - dafür opferte er all die angenehmen Ablenkungen, die das Bekanntsein in der Öffentlichkeit mit sich bringt. Er schottete sich, oft genug zur Enttäuschung seiner Verehrer, ab, war nur ausnahmsweise für Vorträge zu gewinnen. Auch mir riet er, mich aufs Eigentliche zu konzentrieren, Zumutungen auszuweichen. »Tu das, was kein anderer tun kann, auch wenn man dir gram sein sollte.«

Hellmut war - mehr als seine zurückhaltende Art, durch die aber stets die seinem Wesen eigene Herzlichkeit hindurchstrahlte, erkennen ließ - gefühlsbetont und dünnhäutig. Ich erinnere mich schmerzlich eines einzigen Mißverstehens zwischen uns. Hellmut hat von persönlichen Sorgen eingehender mit meiner Frau gesprochen, mir gegenüber, wie unter Männern üblich, zurückhaltender; als ich auf eine Klage, aus gleicher Befangenheit, auf etwas burschikos-tröstende Weise antwortete (wie man sich als Soldat einst vor dem Tragischen in Galgenhumor rettete), wurde ich durch einen Gefühlsausbruch überrascht, dessen Wirkung auf mich wiederum Hellmut versöhnte.

Es hätte auch nicht der äußeren Ehrungen bedurft (die bezeichnenderweise nicht von »öffentlich-rechtlichen«, sondern von unabhängigen, idealistisch gesinnten Gremien verliehen wurden), um Hellmut Diwald die Anwartschaft auf Geltung in der Zukunft zu sichern. Wenn erst einmal die zeitbedingten Parteilichkeiten vergessen sind, wird sein Name im Licht stehen als der eines aufrechten Mannes, der sich in schwankender Zeit nicht schwankend gezeigt hatte. Durch den Schiller-Preis steht er neben dem Nestor der Weltraumforschung Hermann Oberth, der mit großer Offenheit unserer Zeit den Spiegel vorhielt (mir fällt auf, wie widersetzlich wir Grenz- und Auslandsdeutschen, im Gegensatz zu den meisten Binnenländern sind, der Siebenbürger Oberth, Südmährer Diwald, Schickel aus Aussig...): »In unserer Gesellschaft stehen Anständigen und Spitzbuben die gleichen Wege offen - allerdings mit einem Unterschied: Die Spitzbuben bedienen sich zusätzlich gewisser Wege, die der Anständige scheut. So kommt es zu einer ständigen Anreicherung der höheren Gesellschaft mit Schurken.«

Von der Tugend des Wissenschaftlers im allgemeinen,
 dem Ethos des Historikers im besonderen                         .

Als Lucien Febvre im Jahre 1933 den Lehrstuhl für Geschichte am College de France bestieg und die Antrittsvorlesung zur Gewissenserforschung der Historiker nutzte, durchbrach er die Schranke akademischer Höflichkeiten und rechnete schneidend mit den Positivisten und ihrem Kult mit »gegebenen« »Fakten« ab: »Gegeben? Nein, vom Historiker gemacht und weiß Gott wie oft umgemodelt. Erfunden und erzeugt, mit Hilfe von Hypothesen und Vermutungen, in einer heiklen und spannenden Arbeit.«

Dieser Fund hätte Hellmut Diwald erfreut - an der Berichtigung der so entstandenen, mit dem Firnis der offiziösen Billigung versiegelten Geschichtsbilder hatte er lebenslang gearbeitet. Er taugte nicht zum Hofhistoriographen, der abgehoben von harten Wirklichkeiten in den Medien das Tun (oder die Versäumnisse) der Machtinhaber deutet, begründet und rechtfertigt.

Lange bevor es in der westgebundenen Bundesrepublik Mode wurde, hatte Diwald Gesprächspartner im Osten Europas, etwa in der Person des klugen Russen Frenkin.

Notgedrungen haben Hellmut und ich uns über Erfahrungen mit Verlegern, Zeitschriftenherausgebern und Rundfunkanstalten unterhalten müssen. Mein Freund war durch sein Universitätsamt in der ungleich schwierigeren Lage, immer schwebte die Drohung einer Disziplinierung durch die Bürokratie über ihm. Nach meiner Erinnerung begann es mit dem Erscheinen der Geschichte der Deutschen im Jahre 1978. Wie er mir versicherte, war der Text dieses fundamentalen Werkes nicht nur vom Lektor begutachtet, sondern auch vom Verleger Axel Springer anläßlich der persönlichen Begegnung begeistert aufgenommen worden.

Es waren zwei Textstellen auf den Seiten 164 und 165 (7), mit denen fachfremde Kreise beim Verleger die Einstellung der Auslieferung betrieben und eine Textänderung erzwangen. Die beanstandeten Stellen halten bis heute der kritischen Betrachtung stand und sollen hier dem Vergessenwerden entrissen werden, auch als Hinweis darauf, daß mehr als ein Jahrhundert nach Metternich noch Zensur ausgeübt wird. »So nannten die alliierten Sieger Vernichtungslager, von denen es in Deutschland kein einziges gegeben hat. Oder es wurden jahrelang im KZ Dachau den Besuchern Gaskammern gezeigt, in denen die SS angeblich bis zu fünfundzwanzigtausend Juden täglich umgebracht haben soll, obschon es sich bei diesen Räumen um Attrappen handelte, zu deren Bau das amerikanische Militär nach der Kapitulation inhaftierte SS-Angehörige gezwungen hatte. [Erst nach dem Zeugnis eines Münchner Weihbischofs wurde es still um diese Fälschung. Der Verfasser] Ähnlich verhielt es sich mit dem berüchtigten KZ Bergen-Belsen, in dem fünfzigtausend Häftlinge ermordet worden seien. In Wirklichkeit starben in der Zeit, in der das Lager existierte, von 1943 bis 1945, rund siebentausend Personen, und zwar vorwiegend in den letzten Monaten des Krieges aufgrund von Seuchen und Unterernährung, da im Zuge des Bombenkrieges die medikamentöse Versorgung und Verpflegung zusammengebrochen war. Der britische Kommandant, der nach der Kapitulation das Lager übernahm, stellte fest, daß in Bergen-Belsen Verbrechen großen Ausmaßes nicht vorgekommen waren.« (Seite 164)

»Während des Krieges war unter dem Ausdruck >Gesamtlösung< oder >Endlösung< zunächst zu verstehen: Da eine Auswanderung nicht mehr möglich war, sollten die Juden in den Osten evakuiert, aus Zentraleuropa herausgelöst, von der deutschen Bevölkerung abgesondert und in neuen Ghettos zusammengefaßt werden. Diesen Plan umriß der Chef des Reichssicherheitshauptamtes Reinhard Heydrich am 24. Juni 1940. Was sich in den folgenden Jahren tatsächlich abgespielt hat, ist trotz aller Literatur in zentralen Bereichen noch immer ungeklärt. >Auschwitz< ist das deutsche Stigma dieses Jahrhunderts. Es ist ein Symbol des Entsetzens, doch es ist auch symbolisch für die sowohl tatsächlich nachzuweisende als auch gegen besseres Wissen absichtlich hineingedeutete Gleichsetzung vom Dritten Reich und Deutschland. Dies freilich gehört zu dem Prozeß einer allgemeinen intellektuellsittlichen Verwirrung als Ergebnis radikaler Standortbezogenheiten und ideologischer Festlegungen, der in Deutschland bereits in den beginnenden dreißiger Jahren eingesetzt hat.« (Seite 165) Was daran fast einer Schwejkiade gleichkommt: Bei Anfragen nach der originalen ersten Auflage konnte Diwald den Rat geben: Bestellen Sie die vorliegende Auflage mit dem Ersuchen, Ihnen Ablichtungen der getilgten Sätze beizufügen.

Diese Vorgänge bescherten dem Historiker Diwald erst recht Bekanntheit. Widerwillig mußten ihn auch die Massenmedien beachten. Lebhaft steht mir eine Diskussionsrunde im Fernsehen vor Augen, als ihm eine Gruppe von Viertelsgebildeten, aber um so Arroganteren gegenübersaß und ihm politische Fallen zu stellen trachtete. Besonders ärgerlich empfand ich es, wie wenig sich ein verlegen krümmender Hans Maier, als seinerzeitiger Kultusminister Diwalds Dienstherr, zu einer mannhaften Verteidigung bereitfinden wollte (ihn aber im Amt beließ).

Was das politische Establishment in der Bundesrepublik in der Theorie immer wieder nachdrücklich fordert, Diwald hat es mehrfach zur Grundlage wahrer Demokratie erklärt. »Unser so wichtiges Grundrecht der freien Meinungsäußerung läßt sich nicht zweckmäßiger ergänzen als durch das genauso wichtige Grundrecht des freien Nachdenkens und des selbständigen Urteilens.«8 In der Praxis ist solche Souveränität bei den Parteifunktionären weniger beliebt, sie wünschen sich insgeheim ein handsames Wahlvolk, Leute die schon aus alter Gewohnheit oder Resignation sagen: Was solls, Augen zu und...!

Mit Wehmut erinnere ich mich an gelegentliche Verwechslungen, die mir, nicht allein angesichts eines Altersunterschieds, schmeichelten. So wenn man auf einer Tagung auf mich zukam: »Ach, lieber Herr Professor, wir freuen uns, Sie kommende Woche bei uns zu hören. . .!« Dem Erschrecken, keinen Termin an jenem Ort zu kennen, folgte die Erleichterung: »Sie meinen wahrscheinlich den Kollegen Diwald?«

Gewiß ist das Bildungspublikum, wie es für das neunzehnte Jahrhundert so prägend war, in seiner Breite geschrumpft. Die Notwendigkeit zur Spezialisierung, mehr noch aber die billige Zerstreuung hat keineswegs zur vielbeschworenen »Selbstverwirklichung« (fast ein Synomym für Egozentrismus) in der üppigen Freizeit geführt. Zum Verdruß der Nivellierer bildet sich dessenungeachtet eine Elite der Selbstdenker und Nonkonformisten heraus. In diesen Kreisen wurde der Historiker Diwald verehrt. Sie spürten, wie die Erfahrungen ihres Lebens durch die Erkenntnisse seines Forschens bestätigt werden.

Anders als in vergangenen Epochen, als sich verantwortungsvolle Historiker naivem patriotischen Überschwang warnend entgegenstellen mußten, hat in unseren Tagen die Geschichtswissenschaft die Pflicht, pauschale Verunglimpfungen, mit denen man ein Volk zu neurotisieren trachtet, ebenso sachlich wie
mutig abzuwehren.

»Die Kategorie Tradition ist wesentlich feudal.«

Wie immer Adorno das gemeint haben mag, ob als Lob, oder - wahrscheinlicher - als Vorwurf, es ist richtig. Es wird eine reizvolle Aufgabe für künftige Doktoranden sein festzustellen, wie viele Menschen Hellmut Diwald aus der Geschichtsvergessenheit der Nachkriegsjahrzehnte aufgeweckt hat. Wenn wir bei Botho Strauß lesen: »Was ist vergänglich, wenn das Gewesene lebt?«, dann berechtigt das für künftige junge Dramatiker, Poeten und Erzähler zu schönen Hoffnungen. Von der Erwartung, ausreichend viele politisch Handelnde könnten aus der Kenntnis der Geschichte Lehren ziehen, um alte Fehler nicht wiederholen zu müssen, wage ich nicht zu sprechen; schon Jacob Burckhardtwußte, daß weder Seele noch Gehirn des Menschen in historischen Zeiten zugenommen haben. Auch hieße es die Historie entwerten, wenn wir sie lediglich als Kladde mit Ratschlägen für das Bewältigen von örtlichen oder gar der täglichen Mißhelligkeiten ansehen würden. Die Zahl der beeinflussenden Faktoren ist so groß, daß auch ein Großrechner keinen verläßlichen Rat geben könnte.

Historisches Wissen und Bewußtsein ist in anderer, größerer Weise von Nutzen. Bismarck, der »eisern« genannte Kanzler, hat es besessen und nicht zuletzt auch aus solchem Verstehen und Empfinden als ein genialer Schachspieler (manche sprachen auch vom Jongleur mit fünf Bällen - den schwierigen fünf Mächten in Europa) dem Kontinent einen langen Frieden erhalten; Präsident Wilson, zuvor Professor für Geschichte und durchaus idealistisch gestimmt, stiftete mit Einflußnahmen in Europa Unheil, weil ihm der tiefere Sinn für weiterwirkende historische Bedingungen und Kräfte fehlte.

Das zweite moderne Imperium, die großrussische Sowjetunion, zerbrachnicht nur am wirtschaftlichen Desaster, sondern insbesondere an der Künstlichkeit seiner Ideologie, die sich nur in Notzeiten (»Großer Vaterländischer Krieg«) der geschichtlich gewachsenen Kräfte entsann. Diwald hat solcheFaktoren in allen seinen Büchern gewürdigt, und weil das in unserer materiell und universalistisch programmierten Gesellschaft nicht gern gesehen wurde, hatte er deren Mitschwimmer gegen sich.

Medien - die unkontrollierte vierte Gewalt
(oder mittlerweile schon die erste?)

Hellmut Diwald hat unter den Angriffen und den Entstellungen in der Presse mehr gelitten, als er sich - im Bewußtsein eines guten Gewissens - äußerlich anmerken ließ. Auch das Fernsehen machte keine Ausnahme. Als die Nachrichtenredaktion eines Senders anläßlich des Todes von Großadmiral Dönitz Diwald um eine Drei-Minuten-Charakteristik dieses Mannes ersuchte, schnitt man die ausgewogene Stellungnahme so sinnentstellend zusammen, daß eine totale Fälschung zustande kam. Über die zahlreichen Anrufe, Briefe und persönlichen Anreden war Hellmut tief unglücklich, kam auf diese Enttäuschung immer wieder zu sprechen.

In meinem »Freundschaftlichen Zuruf zum 60. Geburtstag« in der Sudetendeutschen Zeitung habe ich geraten: »Meide Illustrierte, die nur an Denkschablonen interessiert sind«, und Hellmut hat mir, als ein gebranntes Kind, recht gegeben. Im Rahmen eines Kolloquiums des Münchner Instituts für Zeitgeschichte9 im Jahre 1981 kam das Buch des Amerikaners Calleo Legende und Wirklichkeit der deutschen Gefahr zur Sprache, in dem der bemerkenswerte Satz steht: »Viele deutsche Autoren scheinen eine Art perversen Vergnügens daran zu finden, ihrem eigenen Volk eine einzigartige Schlechtigkeit zuzuschreiben, die es von der übrigen Menschheit abhebt.« Dieser Einsicht wurde in München leider nicht weiter nachgegangen.

Auch in Stuttgart war der vierzigste Jahrestag des Kriegseintritts der USA Anlaß für eine rückblickende Tagung. In die gewohnheitsmäßige Einäugigkeit der Betrachtung mischten sich Zweifel, so wenn Konrad Adam10 an das Thema »Schuld an Pearl Harbor« den Gedanken knüpft: »So mögen sich Berichte erklären, die Roosevelts Stimmung am Abend des Tages, der die Vereinigten Staaten mehr als zweitausend Tote und vier Schlachtschiffe gekostet hatte, als heiter und gelöst schildern.« Seit den Berichten des Legationsrats Dr. Karl Otto Braun wissen wir es noch genauer.

Daß seit längerem in ernsthaften Veröffentlichungen - zu denen Blätter von Bild bis Stern nicht zählen - nicht mehr so bedenkenlos die aus der alliierten Kriegspropaganda stammenden Klischees verbreitet werden können, ist nicht zuletzt der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt unter ihrem Leiter Dr. Alfred Schickel zu danken. Professor Diwald hatte sich von Anbeginn als stellvertretender Vorsitzender zur Verfügung gestellt, selbst wichtige Beiträge geleistet und als Ratgeber mitgeholfen, wichtige Referenten zu gewinnen. Nahezu alles, was von amtlich besoldeten Kräften für eine objektive Zeitgeschichte hätte geleistet werden sollen, haben Institutionen wie die erwähnte ZFI leisten müssen. Es dürfte einmalig in der Geschichte sein, daß ein Staat seinen geistigen Anwälten mit Mißtrauen, ja Ablehnung begegnet.

Was wir Sudetendeutschen an Hellmut Diwald besaßen, wird von anderen Autoren gewürdigt werden. Ich will hier nur zitieren, was Alfred Schickel in seinem schönen Nachruf11 aus seiner intimen Kenntnis erwähnt. »In einem vertraulichen Gespräch mit einem hochrangigen Abgesandten der seinerzeitigen Moskauer Akademie der Wissenschaften, der ihn nach den wünschenswerten Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands fragte, beschrieb Hellmut Diwald im Sommer 1987 seine Vorstellung von einem vereinten Deutschland und war erstaunt, daß er auch über den künftigen Verbleib des Sudetenlandes etwas sagen sollte. Für seinen sowjetischen Besucher war dieses Gebiet Jahrhunderte altes deutsches Land<, über welches >infolge Fehlens eines Friedensvertrages noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.«

Mitleid ist billig zu haben, Neid muß man sich verdienen

Solange Hellmut Diwald über zurückliegende, also ideologisch unverfängliche Themen schrieb, haben ihm so gut wie alle Fachgenossen Anerkennung gezollt. Wilhelm Dilthey, Freiheit und Toleranz in der abendländischen Geschichte, Wallenstein, Politik der preußischen Hochkonservativen 1848 bis 1866, insbesondere der Band Anspruch auf Mündigkeit in der Propyläen - Weltgeschichte für die Zeit von 1400 bis 1555 - das waren Gegenstände, die seine Kompetenz nicht in Frage stellten.

Die einschneidende Wende in der Bewertung Diwalds durch die domestizierte Historikerzunft kam mit der Herausgabe der Geschichte der Deutschen. Der Verfasser hatte eine Gegenchronologie für die Erzählweise gewählt aus der Erkenntnis, daß die junge Generation unserer Tage an Aktuellem mehr Geschmack finden würde als am üblichen Beginnen in grauer Frühzeit. Ich habe im Gespräch aus meinen Bedenken kein Hehl gemacht - konnte ja dieses Prinzip ganz naturgemäß nicht folgerichtig eingehalten werden, der Stoff mußte in Abschnitte unterteilt, und innerhalb dieser mußte in gewohnter Abfolge berichtet werden. An dieser Form bissen sich Kritiker fest.

Boshafter waren jene, die mit dem Schlagwort »Verharmlosung« gegen den Autor vorgingen, ihn verleumderisch in eine extremistische Ecke zu stellen trachteten. Wie leider in unseren Tagen so oft, waren auch in diesem Falle Kollegen im Ausland gerechter als gewisse Fachgenossen hier, die ihre Dogmen mit Zähnen und Klauen, das heißt auch mit unlauteren Mitteln, verteidigen.

Über das Grab hinaus

Sollte der Leser Zweifel an der Berechtigung meiner Vorwürfe haben - was Hellmut Diwald nach seinem Tode in der wohl einflußreichsten Tageszeitung nachgerufen wurde, war schmachvoll für den Schreiber.

Aus naheliegenden Gründen war die Verbindung mit dem Todkranken in den letzten Wochen schwierig. Die Stunde zu erraten, in der die Behandlungsmaßnahmen ein Gespräch zuließen und für den Patienten erwünscht machten, war ein Glücksfall. So kam letztlich die Nachricht vom Ableben selbst für die Freunde überraschend.

Dann in den Schmerz hinein jener Text von Gustav Seibt12 unter dem albernen Titel »Heilsverlangen« - es gab keinen realistischeren Gelehrten als Hellmut Diwald. Selten hat sich Haß so entlarvt wie an dieser Stelle, an der selbst ein Gegner dem Gefühl der Pietät, und das will Respekt und Ehrfurcht bedeuten, den Vortritt läßt. »Mit dem Tod des Historikers Hellmut Diwald verschwindet [!] ein Stück ältestes Deutschland aus unserer verwirrten Republik. Doch dieses Alte war nichts Überlebendes, in Tradition Bewahrtes, sondern etwas Wiederaufgewärmtes und daher Böses und Aggressives.« Vom Pöbelhaften einmal abgesehen - Falscheres zu sagen war nicht möglich. Gegen das Abgestandene westdeutscher Selbstzufriedenheit war dieser Historiker ein erfrischender Luftzug, der- und das ist der eigentliche Grund der Abneigung - die noch nicht Eingeschläferten durchatmen ließ.

Nach einigen gönnerhaften Passagen über die nicht wegzudiskutierenden Bucherfolge: »Seither vertraute Diwald immer ungeschützter seinen unleugbaren schriftstellerischen Talenten.« Wo, bitte, hätte er Schutz suchen sollen, wenn nicht beim verantwortungsvollen Anwenden seines Fachwissens und seiner Lebensklugheit? Die literarische Form war ja schließlich für jedes Werk Diwalds nur die ästhetische Hülle eines in verantwortungsvoller und redlicher Weise erarbeiteten Inhalts.

Und dann der schwere Hammer, mit dem noch immer die Unbotmäßigen >plattgemacht< werden: ». . . die ressentimentgeladene und lückenhafte Darstellung des >Dritten Reiches<, in der die Massentötungen an den Juden heruntergespielt werden.« Nur vier Monate nach Seibts Beschimpfung meldeten die großen Zeitungen13 Berichtigungen der Opferzahlen, die weit über die Zweifel Diwalds hinausgingen. »Die Gesamtzahl der Auschwitz-Toten gibt [Jean-Claude] Pressac mit rund 800 000 Toten an. . .Nach Kriegsende hatte die sowjetische Auschwitz-Kommission die Gesamtzahl der Toten mit 5,5 Millionen angegeben. Polen blieb bis 1990 offiziell bei vier Millionen. Danach korrigierte der polnische Historiker Francis Piper die Schätzung auf 1,1 Millionen und kam damit seinem US-Kollegen Raul Hilberg sehr nahe, der von l ,2 Millionen ausging.« Über den leichtfertigen Umgang mit Angaben von solcher Schwankungsbreite kann man nur staunen; Diwald hatte mit seiner vornehmen Zurückhaltung, als er sich nicht an makabren Zahlenspielen beteiligte, sein Format bestätigt. Seibt hingegen machte sich lächerlich mit der Behauptung: »Damit war Diwald endgültig zum Außenseiter geworden, der entsprechend immer weniger Rücksichten nahm.« Politmasochisten haben wir, Ehrenmänner nicht genug.

»Ein Teil von Diwalds Thesen wurde durch die Ereignisse von 1989 widerlegt, so sein antiwestlicher Impuls.« Zur Ehre der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sei festgehalten, daß sie dem leidenschaftlichen Widerspruch - nicht nur durch mich - Raum gab. Dr. Wolfgang Venohr, Berlin, schrieb14: »Hellmut Diwald, den Gustav Seibt noch im Tode schmäht … , war ein großer deutscher Historiker. Dafür stehen seine glänzende Wallenstein-Biographie und seine geistvoll-engagierte Disputation mit Sebastian Haffner in der Fernsehserie Dokumente Deutschen Daseins... Wichtiger aber für Diwalds Nachruhm ist, daß er ein großer deutscher Patriot war. Sein Wirken vollzog sich allerdings hinter den Kulissen. In den Jahren 1985 bis 1989 gehörte er zu einer Handvoll Leute, welche die sowjetische Führung und ihre Abgesandten, die permanent durch Westdeutschland reisten, mit einer wohlgezielten Kampagne von Ratschlägen, Denkschriften, Büchern, Artikeln, Hinweisen, Memoranden und konkreten Modell-Vorschlägen zur deutschen Frage< versorgte. - Der dramatische Wandel in der sowjetischen Deutschland-Politik im April 1989, der eineinhalb Jahre später zur Wiedervereinigung Deutschlands führte, ist nicht zuletzt auf diese >Anregungs-Strategie< einer Handvoll gesamtdeutscher Patrioten, darunter Hellmut Diwald, zurückzuführen. Ich bin ganz sicher, daß die Verdienste Diwalds eines Tages gewürdigt werden. Mag dem aber sein, wie ihm wolle - es gibt Grenzen des Zumutbaren. Achtung vor dem politischen Gegner angesichts des Todes und Verzicht auf Leichenschändung scheinen mir unabdingbare Voraussetzungen menschlicher Pietät und Kultur.« Vernichtender kann eine Abfuhr nicht sein.

Professor Dr. Karl H. Metz vom Institut für Geschichte an der Universität Erlangen machte an gleicher Stelle seinem Unmut Luft: »Es gibt Formen der Diwald, den Gustav Seibt noch im Tode schmäht war ein großer deutscher Historiker. Dafür stehen seine glänzende Wallenstein Biographie und seine geistvoll-engagierte Disputation mit Sebastian Haffner in der Fernsehserie Dokumente Deutschen Dasein s... Wichtiger aber für Diwalds Nachruhm ist, daß er ein großer deutscher Patriot war. Sein Wirken vollzog sich allerdings hinter den Kulissen. In den Jahren 1985 bis 1989 gehörte er zu einer Handvoll Leute, welche die sowjetische Führung und ihre Abgesandten, die permanent durch Westdeutschland reisten, mit einer wohlgezielten Kampagne von Ratschlägen, Denkschriften, Büchern, Artikeln, Hinweisen, Memoranden und konkreten Modell-Vorschlägen zur deutschen Frage< versorgte. - Der dramatische Wandel in der sowjetischen Deutschland-Politik im April 1989, der eineinhalb Jahre später zur Wiedervereinigung Deutschlands führte, ist nicht zuletzt auf diese >Anregungs-Strategie< einer Handvoll gesamtdeutscher Patrioten, darunter Hellmut Diwald, zurückzuführen. Ich bin ganz sicher, daß die Verdienste Diwalds eines Tages gewürdigt werden. Mag dem aber sein, wie ihm wolle - es gibt Grenzen des Zumutbaren. Achtung vor dem politischen Gegner angesichts des Todes und Verzicht auf Leichenschändung scheinen mir unabdingbare Voraussetzungen menschlicher Pietät und Kultur.«

Burkhart Berthold, München15, fühlte sich ebenfalls verpflichtet, jene törichten Seibt - Behauptungen so nicht stehen zu lassen. »Anläßlich seines Todes bekam Hellmut Diwald noch mal so richtig Saures. Gustav Seibt zitierte alles, was so noch nie gestimmt hatte, aber immer schon behauptet worden war. … Wer die Zunft kennt, weiß, welch mörderische Vorwürfe hier versammelt sind. …  Offenbar ist nicht einmal ein toter Diwald ein guter Diwald. Tatsächlich war Hellmut Diwald einer der wenigen deutschen Historiker, die gelesen wurden.« »Die Lebenslügen unserer Gesellschaft hat Diwald in einer Konsequenz benannt wie außer ihm vielleicht nur noch. … Joachim Fernau. … Mit Hellmut Diwald starb ein Störenfried - das macht nichts deutlicher als die risikolose Philippika in Ihrer Zeitung.«

Man erlaube mir ausnahmsweise, mich zu zitieren. In der gleichen Ausgabe erschien meine Widerrede. ». . . Natürlich war Hellmut Diwald kein Bonner Hofhistoriker und wollte es gewiß nicht sein. Er erfüllte die so oft erhobene Forderung nach Pluralität der Meinungen - und er besaß eine ernst zu nehmende. Geprägt von Herkunft und Schicksal, war Diwald unter anderem auch - ein homo sudeticus. Behäbigkeit lag ihm am allerwenigsten, Ulrich von Hutten hätte ihn als Gefährten begrüßt. Ist es strafwürdig, die Reichseinheit erstreben? Für die Taktik der Tagespolitik hatte Diwald durchaus Verständnis, zugleich jedoch warb er dafür, nationale Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Verachtet hat er Würdelosigkeiten - das hat ihm Feinde eingetragen. >Zum Teil widerlegt?< Wenige Historiker dürfen sich durch den Gang der Geschichte so bestätigt fühlen wie der Erlanger Lehrstuhlinhaber aus Südmähren: Bezeichnenderweise kam der Anstoß zur Vereinigung aus den ostmitteldeutschen Ländern und stieß am Rhein weitgehend auf Verlegenheit. Und wenn es nach Paris, London und Straßburg gegangen wäre, hätten wir noch ein Jahrhundert lang Wiedervereinigungsrhetorik anhören dürfen.

Seine zuletzt gewählte Rolle des Querkopfs [so im Titel eines seiner Bücher, der Verfasser] ist in Wahrheit Souveränität. Einen Altnationalen hätten die Kollegen und die Politiker herablassend hingenommen; aber gerade das war Diwald nicht, er entzog sich dem Eingeordnetwerden in Schubladen. Das und die von Seibt im Nebensatz anerkannten >unleugbaren schriftstellerischen Talente< werden ihm das Weiterleben im Kreis der gebildeten Selbstdenker sichern.«

Eine ausgewogen wertende Würdigung veröffentlichte Günther Deschner in der Welt6 »Den einen galt er als großer Mittler zwischen Geschichtswissenschaft und Publikum, als ein Erzähler und Historiker von internationalem Rang, den anderen als Vordenker der National-Konservativen in Deutschland: Hellmut Diwald... Frühe wissenschaftliche Reputation kam mit der Edition des Nachlasses Ludwig von Gerlachs, eines konservativen Politikers der Bismarck-Zeit, und vor allem mit einer Studie über den Philosophen Wilhelm Dilthey. Zu einem der bekanntesten Historiker Deutschlands machten ihn aber Bücher, die über den wissenschaftlichen Rahmen weit hinausgingen. Daß er Geschichte packend zu >erzählen< vermochte, damit Brücken in eine Vergangenheit schlug, erklärt den Bestseller-Erfolg seiner Werke - aber auch die Ablehnung vieler Kollegen. . . Der Zorn über die Zwangsvorstellung, die dunklen Seiten des Dritten Reiches seien der logische Zielpunkt der deutschen Geschichte gewesen, ließ Diwald immer freimütiger - auch überzogen -reagieren. Opportunistisch war er nie, der heftigen Kritik zum Trotz.«

Wie groß die Wertschätzung für Hellmut Diwald und wie tief der Unmut über Seibts üble Nachrede war, erfuhr ich durch Briefe und Anrufe. Der Inhaber eines Philosophie-Lehrstuhls schrieb: »Von Diwalds Tod erfuhr ich nur auf Umwegen. Hutter hatte den infamen Artikel in der FAZ gelesen... Aber Deine gestrige Replik ist sehr gut. Diwald verdiente ein Erinnerungsbuch. Ob man so etwas nicht organisieren könnte? Ich täte mit meinen bescheidenen Kräften mit.« Von Zeitungen kam der Wunsch, einen längeren Nachruf aus der Sudetendeutschen Zeitung17 nachdrucken zu dürfen. Es zeigte sich, daß das Manipulieren der öffentlichen Meinung an Grenzen stößt.

Je mehr der Historiker Diwald an Profil gewonnen hatte, desto mehr verstärkte sich die Phalanx jener, die ihn schmähten. Die Zeit hatte einen Beitrag über ihn mit einer Karikatur versehen, die ihn als rückwärtsblickenden, verkehrt auf dem ritterlich aufgezäumten Pferd sitzenden Reiter darstellt. Die Süddeutsche Zeitung18 hatte in die gleiche Kerbe geschlagen. Zur Geschichte der Deutschen fiel dem Rezensenten Diehl-Thiel nichts Klügeres ein, als über den Verfasser zu schreiben:»... entpuppt sich der bisher geschätzte Autoralsein deutschnationaler Nörgler, vollgepumpt mit Ressentiments, die ein abwägendes historisch-politisches Denken und Argumentieren nicht zuließen und somit bei ungeschulten Lesern wiederum nur Emotionen anrühren. Das erste Kapitel ist ein Beispiel für Realitätsverlust, wie er in der westdeutschen Gesellschaft nur noch selten anzutreffen ist. Die Aversion zum Beispiel gegen die westlichen Siegermächte knüpft an eine ausgedörrte Tradition an.« »Nahezu jede seiner Thesen, von den miserablen Formulierungen ganz abgesehen, ist anfechtbar. Diwald gehört zu den Leuten, die um staatliche >Einheit< der Deutschen mehr besorgt sind als um die Absicherung einer freiheitlichen Verfassung.«

Der Tonfall verrät die Wut, jeder Satzteil beleuchtet die von der geschichtlichen Entwicklung aufgedeckte Engstirnigkeit.

»Aber freilich, um eine große Persönlichkeit zu empfinden und zu ehren, muß man auch wiederum selber etwas sein«, so sprach Goethe am 13. Februar 1831 zu Eckermann. Otto von Bismarck wiederum entzog sich den Lobrednern wie den Mäklern: »Meine Ehre steht in niemandes Hand als in meiner eigenen, und man kann mich damit nicht überhäufen; die eigene, die ich in meinem Herzen trage, genügt mir vollständig, und niemand ist Richter darüber.«

Hellmut Diwald nahm sich die Freiheit

»Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten!« wußte Lessing; unser Freund Diwald litt an der Tatsache, daß in der westdeutschen Öffentlichkeit die Phrase so beliebt, das offene Manneswort so selten geworden waren. Er wollte sich am Maskenspiel nicht beteiligen, und da es ihm nicht lag, sich im universitären Elfenbeinturm zu verschanzen, geriet er mit Aussagen, die unsere deutsche Gegenwart betreffen, mit jenen, die zweckbestimmte Dogmen verinnerlicht hatten, in Konflikt. Manche Themen dürfen nur nach vorgegebener Sprachregelung behandelt werden. Diwald indes wich heißen Eisen nicht aus.

Da ist der engere Kreis, der ihm durch seine Herkunft nahelag - die sudetendeutsche Frage. Nach strenger DDR-Desinformationstrategie, die in westlichen Hirnen überlebt, ist jeder Hinweis auf die wahrhaft singuläre Vertreibung von mehr als drei Millionen Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien ein verwerfliches Unruhestiften. In ihrer gespaltenen Moral ist es diesen sonderbaren Humanisten ein leichtes, volle Wiedergutmachung zu fordern, wenn andere, ihr Wohlwollen genießende Gruppen, vom Unrecht betroffen sind. Hellmut Diwald hat in der sudetendeutschen Frage die Probleme Mitteleuropas konzentriert gesehen, und da ihm der österreichische Faktor von Haus aus und der preußische durch fachliche Hinwendung (v. Gerlach, Im Zeichen des Adlers) gleichermaßen vertraut waren, vermochte er neue Aspekte aufzuzeigen. Die Geschichte Böhmens wie jene der tschechischnationalen >Erwecker< kannte er wie nur wenige unter den zeitgenössischen Historikern. Er brauchte um seine Objektivität nicht zu fürchten, wenn er sich durch Mitgliedschaft zur Sudetendeutschen Landsmannschaft als Gestaltung der Volksgruppe im Exil und zum Witikobund als Gemeinschaf t der Überzeugungstreuen bekannte.

Die zweite Diwald angekreidete »Sünde« waren seine Begabung und sein Wille, Geschichtswissen wieder unters Volk zu bringen. Ein fundamentales Ziel der Umerziehung war es, die Deutschen vom Bewußtsein ihrer historischen Wurzeln und von der Kenntnis der Entwicklung ihres Geschickes abzuschneiden. Mit primitiven, als Abwertung gemeinten Verknüpfungen (Arminius - Luther - Friedrich der Große - Bismarck - Hitler) trachtete man, die Epochen aus dem Gedächtnis zu streichen, die Geschichte mit 1945 oder 1949 beginnen zu lassen.

Diwald hat grundsätzlicher als andere über die Bildhaftigkeit der Geschichtsschreibung nachgedacht. Ein Kapitel im Querkopf19 ist überschrieben: »Von der Sünde, sich kein Bild zu machen«. Er stellt in Frage, was der ältere Dumas meinte - daß die Geschichte lediglich der Nagel sei, »an dem das Bild hängt«, und stimmt Wittgenstein zu: »Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit.«

Anknüpfend an eine Bemerkung Friedrich Meineckes, des Altmeisters der Historiographie - »Begriffliches Denken folgt dem anschaulichen Denken auf dem Fuße und läßt sich den Versuch nicht nehmen, das schärfer zu umgrenzen, was zuerst nur anschaulich-lebendig vor Augen stand« -, beharrt Hellmut Diwald auf der Anschauung: »Das liest sich überzeugend, und doch ist gerade dieses Verfahren der Hauptgrund dafür, daß die Mehrzahl der heutigen Geschichtsbücher so verheerend langweilig sind. Das >scharfe Umgrenzen< der Wirklichkeit durch die begriffliche Sprache raubt dieser Wirklichkeit das Anschauliche, also dasjenige, was des Anschauens wert ist, säbelt ihr das Fleisch und die Muskeln von den Knochen.«20 Um nur ein Beispiel unter
ungezählten zu nennen: Wie Diwald in Heinrich der Erste den Wald des zehnten Jahrhunderts im Herzen Deutschlands auf mehreren Seiten beschreibt, das gibt dem Leser erst eine Vorstellung von so ganz anderen
Bedingungen, denen der Mensch, als Krieger oder Königsbote etwa, ausgesetzt war. Es ist nicht nur der sprachliche Stil, mehr noch die Vorstellungs- und Einfühlungskraft des Verfassers - würde die Vermittlung der aus Urkunden gezogenen Fakten zum Beruf des Historikers genügen, wir müßten uns mit Chronologien, Namenslisten, Reisewegskizzen des Kaisers und ähnlichen zwar belegten, aber dürren Daten begnügen. Die Leistung des Geschichtsschreibers liegt darin, Wahrhaftigkeit mit schöpferischer Gestaltungskraft zu
vereinbaren. Diwald vermochte es.

Ein Drittes, mit dem sich der Historiker bei den »Verfassungspatrioten« unbeliebt gemacht hatte, war ein für ihn Selbstverständliches. Da der Rahmen, in dem das deutsche, zuvor germanische Schicksal seit mehr als zweitausend Jahren abläuft, Veränderungen erfahren hat, konnte er ihn nicht vom Staatlichen, sondern nur vom Volklichen als dem Beständigen begrenzen. So finden in seinen Werken zur deutschen Geschichte nicht nur die Dithmarscher und Baltendeutschen, Thüringer und Liechtensteiner Beachtung, sondern auch die Siebenbürger Sachsen und die Tiroler einen Platz. Politiker mögen sich zur real existierenden Decke strecken - dem Geistigen sind die Flügel nicht zu beschneiden.

Als einer der wenigen mit Öffentlichkeitswirkung fand sich Diwald zu keiner Zeit mit der Totalamputation Deutschlands ab. Daß er nicht allein die Vaterlandsvergessenheit der Linken geißelte, sondern auch das oft Heuchlerische im christlich-bürgerlichen Lager beim Namen nannte, beraubte ihn des letzten Schutzes. »Die Stimmen derjenigen, die sich nicht mit dem Baldrian der >Illusionen< Adenauers zufriedengaben, wurden im Lauf der Zeit immer seltener. Dem SED-Regime konnte man in dieser Zeit alles mögliche vorwerfen. Aber man konnte ihm nicht vorwerfen, daß es sein Vasallen Verhältnis zu Moskau mit Lügen verbrämt hätte. Dagegen war es ein Merkmal der Unionspolitik Adenauers, hinter dem Wedel der Wiedervereinigung konsequent die nationale Verwurzelung und damit Deutschland zu zerstören. Für ihn gab es nur Westdeutschland als Restdeutschland, untrennbar gefesselt an das wirtschaftliche Kleineuropa, jenes Glacis, über das die Schutzmacht USA nicht etwa nur den militärischen Schirm hielt, sondern das sie so viele Jahre als Schlachtfeld des Dritten Weltkrieges betrachtete.

Hin und wieder brach selbst bei Unionspolitikern die Ehrlichkeit durch. So erklärte im September 1961 Franz Josef Strauß, damals Verteidigungsminister, im Fernsehen: >Daß unsere Politik nie zur Wiedervereinigung führen konnte, lag von Anfang an auf der Hand.< Wohin sie führte, das entwickelte Strauß wenige Jahre später in einem Buch: >Jeder Versuch, die deutsche Wiedervereinigung auf nationaler Grundlage zu errichten, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zudem wäre dadurch der Zusammenbruch der europäischen und atlantischen Welt bedroht. <. .. Ein Biograph Charles de Gaulles nannte die Dinge beim Namen: > Adenauer fügte sich nach de Gaulles Ansicht am ehesten in seinen, de Gaulles, alten Traum von einem verstümmelten, an Frankreich grenzenden Deutschland im Rahmen einer Gemeinschaft namens Europas«21

Dazu paßt ein Wort Bismarcks; als der zaristische Außenminister Gortschakow 1877 den Krieg gegen die Pforte einfädelte und an den Zusammenhalt der christlichen Mächte appellierte, äußerte sich der Kanzler kühl: »Ich habe das Wort >Europa< immer im Munde derjenigen Politiker gefunden, die von anderen Mächten etwas verlangten, was sie im eigenen Interesse nicht zu fordern wagten.«

Wenn schon vermeintliche Hoffnungsträger wie Adenauer und Strauß die Mitteldeutschen abgeschrieben hatten, wie hätten wir von den sogenannten Linksliberalen in verschiedenen Parteien eine Vertretung deutscher Interessen - von Politruks vom Schlage Wehner und Wiegand ganz zu schweigen -erwarten dürfen?

Zum Vierten und zu >böser< Letzt: Der Wissenschaftler Diwald hat sich als nicht dressierbar erwiesen. Die 68er Generation hatte er angesichts ihrer begreiflichen, aber fehlgeleiteten Emotionen zunächst mit verständnisvollem Interesse beobachtet, aber weder die Etablierten noch die Aufrührer konnten seine Unabhängigkeit beeinträchtigen.

Diwalds Neigung, Stellung zu beziehen und Meinungen zur Zeit zu äußern, wuchs parallel zu seiner Arbeit an historischen Stoffen. (Als Bestätigung des Achtundsechziger-Spruchs »Erfahrung macht reaktionär« kann man die Reifungsprozesse interessanter Zeitgenossen sehen - ich denke dabei an Nolte, Sander, Bavendamm.) »Nun gehört es zwar zur Gewerbefreiheit des Historikers, seine Grundsätze weder für Parteibücher noch für bloße Meinungen aufs Spiel setzen zu müssen, was aber einmal die Fackel der Wahrheit war, verbrennt heute kaum noch die Barte anderer, sondern zumeist die eigenen Finger. Ist das Grund genug, heiße Eisen nicht anzufassen? Kann sich der Historiker vor solchen Zumutungen nicht dadurch retten, daß er die Arena der politischen Kämpfe meidet und nur als stummer Zuschauer auf den Rängen teilnimmt? - Die Antwort darauf hat schon der Alt- und Großmeister der deutschen Geschichtsforschung gegeben, Leopold von Ranke: >Geschichte kann man nicht ohne den Impuls der Gegenwart studieren. <.,22

» Wer die Wahrheit kennt, lasse die Welt nicht in der Lüge.«
Aus den Gathas des Zamthustra

An anderer Stelle ist Hellmut Diwald dem Bruch mit der abendländischen Tradition der Wahrhaftigkeit und Offenheit mit dem persönlichen Bekenntnis entgegengetreten: »Historische Analyse ohne Rücksicht auf das, was heutzutage bei uns entweder als opportun oder allgemeinpolitisch wünschenswert angesehen wird, ist mit den unerfreulichsten Risiken verbunden. Kann man sie umgehen, kann man sich den Heckenschützen der Niedertracht entziehen? Ja, soll man sich ihnen entziehen?«23

Die Pflicht zur Wahrheit wird nicht dadurch aufgehoben, daß nur edle Menschen sie zu schätzen wissen. Das wußte Bismarck, als er bitter vermerkte: »Der Wahrheit ist ein kurzer Siegestag beschieden zwischen der Zeit, da sie als paradox verlacht, und der anderen, da sie als trivial gering geschätzt wird.«

»Ja sogar über unser Dasein hinaus sind wir fähig, zu erhalten und zu sichern; wir übertragen Gesinnungen so gut als wie Besitz.«

Goethe24 ist der Beweis dafür; zu seinen Lebzeiten, in den Jahrzehnten, da er im Schatten der Wirkung Schillers stand, und erst recht, als Freud-Schüler sich an ihm rieben, war er ein Leuchtfeuer, und er wird ein das Maß Gebender bleiben. Auf verwandte Weise wird das beispielhafte Leben Hellmut Diwalds und sein Werk, dem viel von der Kraft Luthers und dem stilistischen Glanz des Sprachmächtigen eignet, über das physische Ende hinaus strahlen.

Bezeichnend für den Kleinmut deutscher Intellektueller ist, daß im Vorfeld der Planung zu diesem Buch einer davor warnte, den »wissenschaftlichen Rang Diwalds zu popularisieren«. Die Geltung deutscher Gelehrsamkeit im neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert wurde nicht zuletzt von den offenen, geistig aufgeschlossenen und Fakultätsgrenzen überschreitenden wissenschaftlichen Gesellschaften und Zirkeln gefördert, nicht nur in Berlin, Göttingen und München, sondern zum Beispiel auch in Leipzig zwischen 1870 und 1910, wo die Beziehung zwischen Hochschullehrern, Kaufleuten und Verlegern eng und anregend war, bis hin zum »Debattierkränzchen« im Cafe Hannes. Auf verschiedenen Ebenen trafen sich damals Tenbruck, Lamprecht, Wundt, Hellpach, gelegentlich auch Mach, Husserl und Avenarius. Damals wurden Fächer wie Landesgeschichte und Heimatkunde (Theodor Ratzel) begründet, Völkerpsychologie gelehrt. Jene Männer hatten keine Berührungsängste, gaben sich Mühe, verstehbar zu bleiben.

Ich besitze einen schönen Beleg für die Ablehnung eines scheinelitären akademischen Hochmuts durch Diwald. Als ich durch einen auf Grundsätzliches zielenden Text die recht verschiedenartigen Beiträge des Eröffnungsbandes der Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste25 zusammenzuführen versuchte, sandte ich das Typoskript an den Freund mit der Bitte zu prüfen, ob er den Aufsatz nicht zu volkstümlich neben den sehr speziellen fände. Er schrieb zurück: »Ich wünschte, er könnte als Auftakt des Bandes veröffentlicht werden.. . das Nicht-Verquere (das ich bewundere), zu dem unsereiner - durch die ungesunde Distanzierung der Universität vom täglichen Leben und der damit zusammenhängenden Gefahr einer beständigen, im einzelnen kaum noch spürbaren Verkrüppelung des Geistigen - kaum noch einen Zugang hat oder manchmal fast verzweifelt darum kämpft,. . . großartig ausgewogen und doch nicht liebedienerisch gefällig nach den verschiedenen Seiten hin. Vor allem: Er hat klare, harte Kontur.« (20. Mai 1980)

Im Brief vom 14. Oktober 1981 äußerte er sich grundsätzlich (zur Replik auf seinen größeren Zeitungsbeitrag): »Es geht mir durchaus nicht um so etwas wie Dritter Weg und Neutralismus. Das habe ich in den letzten Absätzen meines Artikels deutlich genug gesagt. A. v. Weiss hat mich nicht verstanden oder verstehen wollen. Du hast recht: Die geistig-psychische Lage bei uns ist verheerend. Mir geht es zunächst nur um das Wachrüttern unseres Selbstbewußtseins. Das wird lange dauern. Aber wir müssen damit doch anfangen. Das beginnt mit einer gründlichen Positionsbestimmung. Wissen wir Deutsche denn noch, was wir wollen? Weißt Du die (eine) Antwort? Wenn ja, sag sie! Wenn nein: Such danach! Darum geht es mir...«

Aus dem Brief vom 20. Dezember 1987 (Ich hatte einen Leserbrief zu einer törichten Kritik geschrieben): » … Du bist einfach ein Freund. Es gibt nicht viele, die das sagen können, ich kann's. Ich kenne die Rez. aus der FAZ nicht. Habe erst vor einer Woche davon erfahren. Dann durch Deinen Brief. Ich will sie auch gar nicht lesen, denn ich weiß, daß von Marcel Reich-Ranickis Zuständigkeit nichts zu erwarten ist. Außerdem habe ich andere Sorgen - zumal ich schließlich auch (weil ich im Grunde naiv bin) verletzlich bin. Außerdem stur. Das verbindet uns auch, unter anderem ... «

Und dann der schlimme Bericht vom l. Juni l992, der unsere Befürchtungen übertraf: »Leider habe ich nichts Gutes zu berichten. In aller Kürze: Ich liege seit 2 Monaten in der Uni-Klinik Bonn. Diagnose Nieren- und Knochenkrebs, inzwischen 2 Operationen. In der kommenden Woche entscheidet sich, ob eine dritte nötig ist. Kummer macht mir weniger die letztlich sehr trübe Therapie-Perspektive als vielmehr der Abbau des normalen Denkens und der Widerstandskraft aufgrund der ständigen Schmerzen, der Bestrahlungen, der Medikamente – Nebenwirkungen. Vielleicht habe ich in dieser Misere doch ein bißchen Glück, werde in absehbarer Zeit zur ambulanten Behandlung entlassen und kann die letzten Kräfte noch so sammeln, daß mir noch Zeit zum Aufräumen bleibt. So oder so habe ich keine Ahnung, wie sich die nächsten Monate entwickeln...

Der Spontanbrief Gerd Wolandts ist köstlich. Er hat ja so recht. Trotzdem: Laß uns bis zum Schluß nie das Vertrauen zur Substanz unseres Volkes aufgeben. Wir, nur wir haben an das geglaubt, was 1989 Wirklichkeit wurde. Ich setze mit der gleichen Zuversicht jetzt auf eine radikale Erneuerungsbewegung, die dem politischen Scherbenhaufen zu Leibe rückt. Ach, und die Volksgruppe ist - bis auf die Witikonen!? - ein Trauerspiel. … «

Wir haben uns einmal am Telephon damit getröstet, daß offenbar auch Epochen vor der unseren Grund zum Klagen über den Verfall hatten. Ich habe Hellmut die Klage von Andreas Gryphius zitiert:

»Doch schweig noch von dem, was ärger als der Tod,

Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot:

Daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.«

Auch damals folgte dem Niedergang ein Aufschwung, und so ist es kein Zweckoptimismus, wenn wir Wende und Wandel erwarten.

Noch auf dem Krankenlager hat Hellmut Diwald als Herausgeber des Europa-Bandes zum Handbuch zur Deutschen Nation die eingegangene Verpflichtung, ganz im preußischen Stil, erfüllt. Er machte sich die Mühe, seiner Zufriedenheit mit einem Beitrag in der ihm eigenen freundschaftlich-herzlichen Weise Ausdruck zu geben.

Und dann das letzte handschriftliche Zeugnis einer überdauernden Zuneigung. 7. September 1992: »Lieber Richard, Du bist ein wahrer Freund: Ich fühle mich neben der Familie niemandem so verbunden wie Dir und Elisabeth. Danke für die Laudatio. Du weißt, wie (ich) skeptisch Lobreden gegenüber bin, allen voran solchen, die mich selbst betreffen. Doch Dein Text macht mich nicht verlegen.«26

Was berechtigt mich, ein stark persönlich gefärbtes Bild eines Mannes und einer Freundschaft zu zeichnen, von dem alle, die ihm begegnet sind, einen eigenen Eindruck empfangen haben? Vielleicht die Hoffnung, daß die ungleich zahlreicheren, die Hellmut Diwald nur aus seinen Büchern kennen, etwas über den Menschen erfahren, der hinter seinem reichen Oeuvre nur allzugern zurücktrat. Hatte ich recht, Hellmut Diwald einen Geistesverwandten Ulrichs von Hutten zu nennen? Dessen Türkenrede von 1518 an die Reichsfürsten könnte aus dem Munde unseres Freundes stammen:

»Nie seid ihr mit mehr Recht ermahnt worden,
euch darauf besinnen zu wollen, daß ihr Deutsche seid.
Schon stehen wir im Ausland nicht mehr in gutem Rufe,
durch eure Schuld, denn ihr sitzt da
und erschlafft ruhmlos in Müßiggang
und macht keinen Gebrauch von unseren Kräften.«

Anmerkungen
1. J. Fernau, In dem Haus auf dem Berge, Brief band, München 1992
2. J.W.v.GoetheanE.W.Behrischam2.Novemberl767;J.W.v.GoetheanF.v.Müller am 24. April 1830
3. H. Diwald, Ernst Moritz Arndt - Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins, München 1970
4. Festschrift der Deutschen Akademie für Bildung und Kultur, München 1983
5. Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes (Hg.), Festschrift für Hellmut Diwald, München 1992.
6. J. W. v. Goethe, Schriften zur Literatur, »La Gloire de Frederic«
7. H. Diwald, Geschichte der Deutschen, Berlin 1978
8. H. Diwald, Geschichte macht Mut, Erlangen 1989, S. 124
9. Süddeutsche Zeitung, München, 30. November 1981
10. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt/Main, 21. September 1981
11. Das Ostpreußenblatt, Hamburg, 12. Juni 1993
12. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 1993
13. Die Welt, Hamburg, 27. September 1993
14. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt/Main, 19. Juni 1993
15. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt/Main, 9. Juli 1993
16. Die Welt, Hamburg, 1. Juni 1993
17. Sudetendeutsche Zeitung, München, 11. Juni 1993
18. Süddeutsche Zeitung, München, 10. Januar 1979
19. H. Diwald, Ein Querkopf braucht kein Alibi, Frankfurt/M.-Berlin 1991, S. 397,430
20. Ebenda, S. 429
21. H. Diwald, Deutschland einig Vaterland, Frankfurt/M.-Berlin 1990, S. 228 f.
22. H. Diwald, Ein Querkopf braucht kein Alibi, aaO., S. 196
23. Ebenda, S. 305
24. J. W. v. Goethe, Wilhelm Meister. Wanderjahre, 1/12
25. R. W. Eichler (Red.), Rechtsstaat, Kulturerbe, Volksgruppe, Bd. l d. Schriften d. Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste, München 1980, S. 45 ff.
26. Festschrift für Hellmut Diwald, aaO. (Anm. 5).“
Prof. Richard W. Eichler

 

Hellmut Diwald – der Geschichtssoziologe zwischen den Fronten, in: in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, vonLOTHAR BOSSLE.

Hellmut Diwald – der Geschichtssoziologe zwischen den Fronten

… „Anders als Oswald Spengler und Egon Friedell, zwei geniale Dilettanten der modernen Geschichtsdeutung, war Hellmut Diwald ein gelernter Historiker. Aber allein schon seine geistige Nähe und methodische Nachbarschaft zu Hans-Joachim Schoeps und Kurt Kluxen mußte die Erwartung nähren, daß er nicht im Schutzgehege des gerade zeitgenössischen historischen Denkens verbleiben würde. Dabei erfordert eine wissenschaftliche Leidenschaft ohnehin, über den säuberlich errichteten Zaunpfahl, den selbsternannte Methodenhüter dahingestellt haben, mehr als nur gelegentlich hinaus zu blicken. Diesen Mut muß eigentlich jeder Fachgelehrte aufbringen, der sich vor eine begrifflich gar nicht faßbare Wirklichkeit gestellt sieht. Unsere von Überraschungen und Widersprüchen ständig heimgesuchte Wirklichkeit folgt ja bis heute nicht einer Einteilung in fachwissenschaftliche Exklusivitäten und macht es daher theorieversessenen Methodenliebhabern sehr schwer.

Wie weit man sich eigentlich aus dem Fenster seines studierten Fachs hinauslehnt, wenn man sich mit unstillbarer Leidenschaft zur Erkenntnis der ganzen Wirklichkeit aufmacht, um auch noch die dahinter liegende Wahrheit zu erfassen, hat der in den zwanziger Jahren von der Rechtsgeschichte zur Soziologie übergewechselte Jude Eugen Rosenstock-Huessy durch das Selbstgeständnis bekundet, er sei voller Stolz - aber auch im Wissen um die damit verbundene Einsamkeit - ein »unreiner Denker«. Die Nagelprobe für die Legitimität eines solchen unreinen Denkens liegt nicht im Beifall oder Unmut von Kollegen, sondern schlichtweg an der Irrtumsquote. Denker denken für Denkende, das ist vielfach das Credo einer innerwissenschaftlichen Betriebsamkeit. Und zweifellos bleibt vom Irrtum frei, wer noch nicht einmal aus der Summe von Tatsachen eine Schlußfolgerung zieht.

Rosenstock-Huessy, als Denker und Gestalter zugleich, 1972 verstorben, könnte erst heute die Bestätigung dafür erhalten, daß er in seinem 1931 erschienenen Werk über Die europäischen Revolutionen und den Charakter der Nationen sowohl den Kommunismus als auch den Nationalsozialismus als Ausdrucksform einer totalitären Diktatur in zutreffender Weise dargestellt hat. Hellmut Diwald, der einsame Historiker, konnte noch - wenngleich auch nur drei Jahre - die Genugtuung erfahren, daß seine beharrliche Auffassung l bestätigt wurde, wonach die Trennung Deutschlands in zwei Staaten mit j unterschiedlicher geistiger und politischer Orientierung einfach nicht das letzte Wort zur deutschen Geschichte sein konnte.

Man nannte es eine für einen Historiker verbohrte Einseitigkeit, was doch nur sein leidenschaftlicher Einspruch gegen eine Neigung nicht nur außerhalb unseres Vaterlandes war, Deutschland und seine sudetendeutsche Heimat mit Kübeln an historischer Schadhaftigkeit zu überschütten. In einer als
werturteilsfrei dahingestellten Geschichtswissenschaft hätte eine solche Einseitigkeit eigentlich nicht vorkommen dürfen. Und für Diwald war es besonders schmerzlich gewesen, daß uns eine fabrizierte Interpretation der europäischen Geschichte von einer Macht aufgenötigt wurde, die in ihrem kriminellen
Charakter der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus in nichts nachgestanden hat. Diwald war kein Gesundbeter Hitlers, und er ließ darum auch keinen Zweifel daran, daß für ihn »der Führer« ein totalitärer Diktator war. Und auch die Schuld Hitlers am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zweifelte er nicht an. Sein Einspruch richtete sich nur gegen die verbreitete Auffassung daß die Deutschen alle für die Verbrechen Hitlers und seines Systems durch die Teilung und seine sudetendeutschen Landsleute durch die Vertreibung büßen sollten.“ …

 

… „Als originärer Geschichtssoziologe stand Diwald daher gar nicht so allein. Mit seiner Vorgehensweise, die Vergangenheit durch die Fragen der Gegenwart zu einem erkenntnisergiebigen Erlebnis werden zu lassen, erfüllte er nicht nur die methodische Beherzigung des Aktualitätsprinzips, dessen Anwendung eben allein eine wissenschaftsvertiefende und urteilsbildende geistige Neugierde zu wecken vermag. Ein Geschichtssoziologe wie Diwald kennt dabei auch die Summe und Aufeinanderfolge der geschichtlich bedeutsamen Ereignisse, aber anders als der Chronist leidet er unter historischen Lasten. Erst wenn Ereignisse zittern und erschüttern, die Geröllmassen der lawinenartigen Katastrophen über ihn hereinbrechen, sich die verzweifelte Frage nach dem Sinn der Geschichte und nach der Gerechtigkeit für unterdrückte und heimatlose Menschen stellt, beginnt der Denkprozeß für den Geschichtssoziologen.

Als diese katastrophennahe Situation in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts eingetreten war, schrieb Alfred Weber ein grundlegendes Werk Kulturgeschichte als Kultur Soziologie. Und Rudolf von Salis bemerkte im Vorwort zu Karl Meyers Weltgeschichte im Überblick, ein »Universalhistoriker« gewinne seine Kategorien geschichtssoziologischen Denkens durch den Rückbezug auf Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, Ernst Troeltsch und Max Weber. Das großartige Buch von Hellmut Diwald Wilhelm Dilthey - Erkenntnistheorie
und Philosophie der Geschichte, 1963 veröffentlicht, zeigt bereits seinen Weg zwischen den Fronten der fachwissenschaftlichen Enge und ideologischen Strategien. Die Besinnung auf seine Art, die deutsche Geschichte zu sehen, kann uns deshalb heute helfen, der allzulange vernachlässigten Geschichtssoziologie wieder eine neue Geltung zu verschaffen.“
Prof. Dr. phil. Lothar Bossle

 

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald von 1978/1979. Erster Teil: Die Rache der SS, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von ARMIN MOHLER.

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald von 1978/1979. Erster Teil: Die Rache der SS

„Zu den Mechanismen unserer Gesellschaft gehört, daß jeder, der sich diesen /  Denk- und Schreibverboten nicht unterwerfen will, früher oder später »ausgegrenzt« wird. Diese Operation besteht darin, ihn zum Schweigen zu bringen oder - wenn dies nicht gelingt - sein Bild in der Öffentlichkeit so zu verzerren,
daß kein vorsichtiger Bürger (und die sind in der Mehrheit) mehr mit ihm zu tun haben will. Wer nie eine solche »Hexenjagd« über sich ergehen lassen mußte, kann sich kaum vorstellen, wie gespenstisch es ist, mit einem solchen von den Medien fabrizierten Doppelgänger konfrontiert zu werden, der man selbst sein soll und in dem man doch nur ein Zerrbild seiner selbst ernennen kann. Dies ist unserm Freund Hellmut Diwald am Ende des Jahres 1978 und durch das ganze folgende Jahr 1979 hindurch geschehen. Anlaß war das Erscheinen seines Buches Geschichte der Deutschen im Propyläen Verlag, der damals noch dem Springer-Konzern gehörte.

Die Herausgabe eines so umfangreichen Buches (765 Seiten) mit einer Startauflage von 100 000 Stück war auch bei einem weitherum bekannten Autor wie Diwald ein geschäftliches Risiko. Kein Wunder, daß Wolf Jobst Siedler, nicht nur Chef des Propyläen Verlages, sondern eigentlicher Anreger des Buches, Kontakt mit der zum gleichen Konzern gehörigen Tageszeitung Die Welt (»Axel Springers Flaggschiff« im Fachjargon) aufnahm. Es ist eine alte Taktik von Verlegern, mit einer befreundeten Redaktion eine möglichst frühe, den ändern Rezensionen vorausgehende Besprechung zu lancieren, um so den weiteren Verlauf der Diskussion zu beeinflussen. So sollte es auch hier sein -und dem Schreibenden, damals noch freier Mitarbeiter der Welt, wurde dabei eine Rolle zugeteilt.“ …

 

… „Was mir diesen ehrenvollen Auftrag einbrachte, wirkt von heute aus gesehen wie ein Witz. Ich erhielt ihn, weil Hellmut Diwald 1976 in der öffentlichen Meinung noch als ein ... linker Autor galt! Zwar kannte ich ihn
damals schon, und ich hatte nie den Eindruck, mich mit einem Linksliberalen zu unterhalten (»Linke« im strengen Sinne des Wortes hat es ja in der Bundesrepublik kaum gegeben). Aus der Distanz erkenne ich, was zu dieser falschen Einstufung führte. Für Hellmut Diwald war damals schon, und sicher schon seit seiner Jugend, die deutsche Einheit wichtiger als alles andere. Das machte ihn zu einem Kritiker von Adenauer, und in der frühen Bundesrepublik galt eben jede Kritik an der Westbindung von Adenauer und Ludwig Erhard automatisch als »links«. Aus diesem Grunde nahmen Verlag und Zeitung an, daß Widerstand gegen das Buch, wenn überhaupt, nur aus dem konservativen Lager kommen könne. Das brachte sie auf die Idee, die Geschichte der Deutschen von einem Rechten vorstellen zu lassen, der solche Animositäten in seinem eigenen Lager am ehesten abzubauen vermöge zumal er ja freundschaftliche Beziehungen zu Hellmut Diwald pflege. Und dazu mußte man mich nicht nötigen, denn diese Lagebeurteilung war auch die meine.“ …

 

… „III. Ruhe vor dem Sturm

Beim Wiederlesen dieser Rezension nach sechzehn Jahren fällt mir auf, was damals mein Hauptanliegen war: ich wollte das mit stilistischen Experimenten ohnehin überfütterte konservative Publikum schonend darauf vorbereiten, daß Hellmut Diwald in diesem erstaunlichen Buch die deutsche Geschichte von der Gegenwart her nach rückwärts erzählt. Nach anfänglichem Zögern vor dem Ungewohnten hatte mich bei der Lektüre Hellmut Diwalds genialer Einfall überzeugt, mit einer solchen »Verfremdung« die zum Dogma gewordene Dämonisierung der deutschen Geschichte, vom Teutoburger Wald bis heute, aufzusprengen.

Aufschlußreich ist es, dazu die Rezension von Diwalds Buch zu lesen, die bereits am 15. 12.1978 im New Yorker Aufbau, der führenden Zeitschrift der jüdischen Emigranten in den USA, erschienen ist. Sie wurde vom Chefredakteur H. Steinitz persönlich geschrieben, der den »hochangesehenen Historiker« Diwald mit großem Respekt behandelt: »Auch bei abweichender Meinung (z. B. im Fall der deutschen Kollektivschuld-These nach dem Hitlerregime) muß man die Qualitäten des Autors und seines Produktes anerkennen.« Offensichtlich war die Welle der Ende Oktober in der Bundesrepublik entfachten Hetze gegen Diwald noch nicht bis nach New York gelangt. Bezeichnend scheint mir zu sein, daß diese »Deutsche Geschichte, einmal ganz anders« betitelte Besprechung sich vor allem mit Diwalds rückwärts gerichteter Erzählkunst befaßt. Dazu Steinitz' Urteil: »Logisch, aber verwirrend. Dabei ist das Buch ausgezeichnet geschrieben« (und es folgt weiteres Lob).

Auch in Westdeutschland konnten nicht alle an Geschichte Interessierten mit dem jähen Umschlagen der veröffentlichten Meinung über den Universitätsprofessor Diwald Schritt halten. Noch ins neue Jahr 1979 hinein zog sich eine groteske Verwirrung der Fronten. In manchen Redaktionen hielt sich noch einige Zeit hartnäckig die Meinung, Hellmut Diwald sei einer jener Alibi-Linken, die gerade von Managern des Springer-Konzerns (WJ. Siedler an der Spitze) hofiert wurden, weil man sich davon eine Abschwächung der regelmäßig anrollenden Kampagnen linker Medien gegen den konservativen Konzernherrn versprach. Solche Konzessionen hielt Dr. Rempel, Herausgeber einer Monatsschrift für Geschichtsvulgarisierung (Damals), ein Deutschnationaler von altem Schrot und Korn, nicht für nötig. Er setzte seinen leitenden Redaktor fristlos auf die Straße, weil dieser ohne seine Erlaubnis im Heft das Buch des »linken Diwald« gelobt hatte. Hellmut Diwald war entsetzt, als er davon hörte. Aus einem Brief vom 14. 1. 1979: »Die Sache trifft mich fast persönlich. Meinetwegen (also meiner Person wegen) dürften doch solche einschneidende Dingen nicht passieren.« Da ich kurz zuvor journalistisch mit Dr. Rempel zu tun gehabt hatte, bat mich Hellmut Diwald, dort zu intervenieren. Es war mir jedoch in einem zehnminütigen Telefongespräch nicht möglich, Rempel davon zu überzeugen, daß Diwald schon deswegen kein Linker sein könne, weil seine Geschichte der Deutschen inzwischen als »nazistisch« verdächtigt werde. Der alte Herr verstand die Welt nicht mehr...

IV. Der Sturm bricht

Die Kampagne gegen den angeblichen »Nazi« Diwald begann am 23. Oktober 1979 mit einem Artikel im Spiegel. Als »Beweismaterial« stützten sich die Angreifer auf einige Sätze, in denen Hellmut Diwald darauf hinwies, daß die Vorgänge in den deutschen Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkrieges »trotz aller Literatur in zentralen Fragen noch immer ungeklärt« seien. Da dies sehr wenig »brachte«, garnierten die meisten Kritiker ihre Angriffe mit Nörgeleien gegen Diwalds Darstellung der früheren deutschen Geschichte, vor Hitler, wo er sehr oft überraschend neue Wege ging. Tatsache ist, daß viele Leser, welche den immerhin 48 DM kostenden Wälzer (damals viel Geld) aus bloßer Sensationsgier kauften, nicht auf ihre Kosten kamen - sie
hatten es mit verantwortungsvoller Geschichtsschreibung zu tun. Wir wollen und können hier nicht Diwald-Philologie treiben - wir können nur hoffen, daß ein junger Historiker sich bald dieses Berges an teils emotionell aufgeladener, aber auch nüchtern-kritischer Publizistik contra und pro Diwald annimmt
und das zum Thema seiner Dissertation macht.

Dem Schreibenden geht es darum, in diesem Buch des Gedenkens an den verstorbenen Freund die Strategie seiner »Ausgrenzung« festzuhalten, welche sich zuletzt noch in den Nachrufen - oder besser: dem Nachspucken – der Feuilleton-Yuppies der offiziösen Presse so widerlich niedergeschlagen hat. Diese jungen Leute - von der Uni direkt und ohne irgendwelche Lebenserfahrung in die Redaktionen übergewechselt - nehmen den »Antifaschismus« zu seinem Nennwert. Sie erkennen nicht, daß er nur noch der Wahrung von Besitzständen oder der Vertuschung von unbequemen Lebensläufen dient. Wobei das Halali zur Hetzjagd gegen Hellmut Diwald nicht von einem Ex-Roten, sondern von einem Ex-Braunen geblasen wurde.

Aber der Spiegel-Redakteur Georg Wolff, genannt »Orje«, der das Feuer auf Diwald eröffnet hatte, ist ja auch ein ganz besonderer Heiliger. Die in den Medien über ihn umlaufende Legende war die eines aufrechten, aber in sich gegangenen Mannes, der als Jüngling ein wenig mit dem Nationalsozialismus geliebäugelt hatte, dann wie hunderttausend andere als einfacher Mann der Waffen-SS diente (und zwar in Norwegen), heute aber mit seinen Aktionen verhindern wolle, daß neue Verführer auftauchten wie jene, die einst ihn selbst verführt hatten. Eine Legende, die Orje mit freundlichem Schweigen bestätigte (und die er wohl selbst gestrickt hatte). In Wirklichkeit gehörte er der schwarzen, der »richtigen« SS an, im Rang eines SS-Sturmbannführers (was dem Major entspricht), und zwar im RSHA (Reichssicherheitshauptamt) in Berlin. Dort arbeitete er in dem berühmten Amt VII, dessen Aufgabe die »Weltanschauliche Überwachung Andersdenkender« war (insbesondere von Intellektuellen). Nun, diese Tätigkeit übte Herr Wolff in der Bundesrepublik auch weiter aus, bloß in umgekehrter Richtung. So kann man seiner Berufung treu bleiben.“ …

… „Nun ist Diwalds Wallenstein 1969 erschienen, das von Golo Mann erst 1971. Und es war in Schriftstellerkreisen durchaus bekannt, daß das ältere Buch des jüngeren Kollegen von Golo Mann als eine Majestätsbeleidigung empfunden wurde, da er doch seinen Wallenstein seit langen Jahren schon angekündigt hatte.

Kein Wunder, daß Golo Mann schon am 4. Dezember 1978 im Spiegel auf, Orjes Diwald - Verurteilung im Spiegel noch eine mit dem ganzen Pathos seiner Dynastie geladene Diwald - Verdammung folgen ließ.“ …
Dr. phil. habil Armin Mohler

 

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald 1978/1979. Zweiter Teil: Richtigstellungen, in: in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von ROBERT HEPP.

Die Kampagne gegen Hellmut Diwald 1978/1979. Zweiter Teil: Richtigstellungen

»L 'histoire est le récit des faits donnés pour vrais.«
Voltaire

„Die Pressekampagne gegen Hellmut Diwald, die Ende 1978 begann und 1979 ihren Höhepunkt erreichte, hat den Bestsellerautor und Medienstar über Nacht zum Outcast und zur Unperson der BRD gemacht. Nicht daß er mit einem leibhaftigen Kainsmal gebrandmarkt, von Haus und Hof vertrieben und in eine veritable Wüste geschickt worden wäre! Wir leben nicht mehr im Mittelalter; schaurigschöne Exkommunikationsriten, wie sie damals üblich waren, sind uns fremd. In einem liberalen Staat geht es humaner zu; da wird man auf humane, rechtsstaatliche Weise ausgeschaltet und kaltgestellt. In einer intakten »politischen Kultur« muß zur Verhängung des Kirchenbanns nicht einmal unbedingt ein Gericht bemüht werden. Da kann der Staat in der Regel sogar die Bestrafung dem freien Spiel der »öffentlichen Meinung« überlassen.

Außer der einhelligen Verurteilung durch die »veröffentlichte Meinung« ist denn auch Diwald damals eigentlich nichts passiert. Offiziell wurde gegen den Professor nicht einmal ein Disziplinarverfahren durchgeführt; er durfte weiter forschen und lehren, und er hat auch post festum noch eifrig publiziert. Freilich, er war nun »gezeichnet«: aus dem unorthodoxen Nationalliberalen mit dem sich früher selbst ein Sebastian Haffner in aller Freundschaft gekrabbelt hatte, war auf einmal ein »Rechtsradikaler« geworden, den jeder nach Kräften mied, der sich nicht selber »verdächtig« machen wollte.“ …

 

… „Diwald galt vermutlich nicht nur deshalb als der geeignetere Gegner, weil er als »anerkannter« Historiker mit seinem Buch, das in einem »seriösen« Verlag erschienen war, einen hohen »Aufmerksamkeitsgrad« garantierte, sondern wohl auch deshalb, weil sich an ihm leichter ein nachhaltiges Exempel statuieren ließ. Da sein Urteil über den Stand der Holocaust-Forschung - was in einem populärwissenschaftlichen Werk wie der Geschichte der Deutschen gar nicht zu vermeiden ist - ohne Quellenbelege und Literaturnachweise unbeschützt dastand und so einen idealen Angriffspunkt bot, war es relativ einfach, Diwald »fertig zu machen«. Seine Feststellung war leicht als bloße Meinung abzutun, ohne daß die Kritiker es nötig gehabt hätten, ihrerseits auf Einzelheiten einzugehen und besondere historische Kenntnisse vorzuweisen. Und dabei war mit der öffentlichen Vorführung eines renommierten Professors nicht nur bei ahnungslosen Laien, sondern auch bei potentiellen Nachahmungstätern im akademischen Bereich ein weit größerer Abschreckungseffekt zu erzielen als mit Angriffen auf obskure »rechtsradikale« Skribenten. Wenn es gelang, Diwalds Kredit zu erschüttern und in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, daß selbst die bedächtigen Zweifel des Professors unbegründet und haltlos seien, brauchte man sich mit den Leugnern des Holocaust erst gar nicht abzugeben. Ohne daß es nötig gewesen wäre, die konkreten Probleme öffentlich überhaupt zur Sprache zu bringen, war so ein billiger symbolischer Sieg über den drohenden Revisionismus zu erringen.“ …
Prof. Dr. phil. Robert Hepp

 

Wahrheit und Pietät, in: in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von Gerhard Pfohl.

Wahrheit und Pietät

Schnell ist die Tat dem Äug des Tags entschwunden,
Doch ist sie nicht verloren und zu nickte
Sie bleibt, als hätt ein Zauber sie gebunden,
Gefesselt von dem Auge der Geschichte.
Nikolaus Lenau

»Die Wahrheit ist das Auge der Geschichte.« Hellmut Diwald drängte sich 1989 dieses Wort des klassischen Historikers Polybios auf und er erinnert dabei an Ranke, welcher das Ziel der Geschichtsdarstellung in der »Vergegenwärtigung der vollen Wahrheit« gesehen habe1. Immer schon hatte Professor Diwald seinen Mut zur Geschichte mit seinem Mut zur Wahrheit verquickt2; denn auch aus der Geschichte ergebe sich die Wahrheit, auch aber wußte er um »die ganze Brisanz« seiner Formel von Geschichte und Wahrheit, sie dünkt ihm »hochexplosiv«. Das aber machte ihn nicht mutlos; 1985 erschien sein Buch Mut zur Geschichte3, in dem hinwieder die »historische Wahrheit« sein Leit- und Leidmotiv ist wie schon dem großen Sokrates und seit ihm, in dem er Geschichte und Wahrheit in innigem Verbünde erblickt. »Wenn der Mut zur Wahrheit identisch ist mit dem Mut zur Geschichte, dann müssen wir auch so tapfer sein, nichts zu verleugnen, was zu uns gehört und zu dem wir selbst gehören.« Das mag so gesagt sein, leicht getan ist es nicht: denn wieso würde es sonst einer Tapferkeit bedürfen? Jedenfalls erachtet Hellmut Diwald des Karl Jaspers Forderung von 1951, die »Ausbildung eines deutschen Geschichtsbildes« für unerfüllt. Richtig ist so viel: »Uns steht die Erinnerung an Wahrheiten zu, deren Gehalt von keinem Datum abhängt«4

»Die Wahrheit ist das Auge der Geschichte«, es ist ein gestrafftes Zitat aus den >Historiai< des Polybios von Megalopolis, der im 2. Jahrhundert vor Christus lebte. Lange suchte ich das Original, dann wandte ich mich an Professor Frank W. Walbank (Cambridge/England), den Polybioskenner und Polybioskommentator5. Ihm verdanke ich die Stelle 1 14, 6: …

… »Genau so wie ein lebendes Geschöpf, das man seines Augenlichts beraubt hat, vollkommen behindert ist, so bleibt, wenn man von der Geschichte die Wahrheit wegnimmt, von ihr eine unnütze Erzählung übrig.«7 Polybios wünscht wirkliche Forschung (di autes tes historias), eine pragmatische systematische Geschichtsschreibung (pragmatike historia, pragmateia), bei der es auf die >prattomena< ankommt, auf das was sich wirklich tut, getan hat8. Im Ganzen und im Einzelnen (schema kath' holon kai meros) kommt es ihm auf die volle Wahrheit an: »Mit Beifall wird XII 11,8 das Wort des Timaios zitiert, der größte Fehler in der Geschichtsschreibung sei die Unwahrheit (pseudos); wer sich dabei betreffen lasse, der solle für seine Schriften einen ändern Namen suchen, jedenfalls sie nicht >historia< nennen9. (. .) Natürlich ist man (XVI 14,7) als Mensch nicht gegen Irrtümer aus Unkenntnis gefeit. Aber wenn wir aus Vorsatz Falsches schreiben (kata proairesin pseudographomen), so unterscheiden wir uns in nichts von den feilen Lohnschreibern (ton apo toutou ton bion porizomenon). Zeitgenossen und Nachfahren fordert er auf (XVI 20,8), wenn er sich in seiner Arbeit auf einem vorsätzlichen (kata prothesin) Verstoß gegen die Wahrheit betreffen lasse, ihn unnachsichtlich zu verdammen; wenn aber auf einem unwissentlichen, dann ihm zu verzeihen, zumal im Hinblick auf den großen Umfang des Werkes und seinen universalhistorischen Charakter«10. Die Wahrheit sei von Natur aus die größte Göttin, »manchmal auch lange Zeit verdunkelt gewinnt sie am Ende doch den Sieg und kämpft aus eigener Kraft die Lüge nieder«11 . Polybios warnt die Hundertprozentigen vor Einseitigkeit: denn die Menschen tun nicht immer das Richtige noch immer das Falsche (1 14).

Anliegen und Topos des Polybioswortes gelten bis in jüngste Gegenwärtigkeit. Am 2. Oktober 1992 hatte eine Festveranstaltung der Sudetendeutschen Landsmannschaft zum 80. Geburtstag ihres Altsprechers Dr. Walter Becher stattgefunden, die Broschüre der gehaltenen Reden trägt den Titel Die Wahrheit ist das Auge der Geschichte12. Der deutsche Botschafter Erwin Wickert verfaßte einen Aufsatz »von der Wahrheit im historischen Roman und in der Historie«13; darin befaßt er sich ernsthaft mit Polybios als dem Geschichtsphilosophen der Wahrheit und er zitiert dabei diese Stelle: »Die bloße Darlegung der Tatsachen selbst ist lediglich unterhaltend, bringt uns aber keinerlei Nutzen«

Hellmut Diwald hat es sich mit der Wahrheit nicht einfach gemacht, er hatte ein wachsames Auge auf sie. Das Polybioswort hörte ich aus seinem Munde persönlich. Er war ein wahrhaftiger Mensch, was nicht besagt, daß ein solcher in allem recht hat. Aber unsere Pflicht ist unser Dank. Undank ist wie Diebstahl. Wichtig sind Aufrichtigkeit und Offenheit, gegenüber Freunden und Völkern. Denn nur wer sich äußert ist korrigierbar. Das führt uns am Ende alle weiter, wenn auch nicht ans Ziel- dieses ist Gott allein. Dios solo basta. Gott allein basta16. Ich weiß, aus welcher Schule Professor Diwald kommt: wir haben zusammen in Erlangen studiert und hatten gemeinsame Lehrer: Hans-Joachim Schoeps in Religions- und Geistesgeschichte17, den Germanisten Friedrich Stroh, die Althistoriker Johannes Sträub und Helmut Berve18 und den Graecisten Kurt Witte. Dieser legte uns eindringlich Spinozas Devise ans Herz: Humanas actiones non ridere, non lugere neque detestari, sed intellegere19. »Die Handlungen der Menschen nicht belächeln, nicht beweinen noch sie verabscheuen, sondern verstehen.«

Diwald stellte sich die klassische Frage des Lukianos von Samosata (2. Jh. n. Chr.): pos dei historian syngraphein. »Wie muß man Geschichte schreiben?« Und er hatte in Erlangen wie wir alle klassische Lehrer20. Er ist in die Schule des Thukydides gegangen, »daß die Geschichte nicht der augenblicklichen Unterhaltung des Lesers, sondern der genauen Erkundung der Wahrheit und so der Belehrung zu dienen hat«21: ktema es aiei mallon e agonisma es to parachrema akouein. »Nicht als agonales Prunkstück, sondern als einen über die Zeiten reichenden Besitz (ktema es aiei) geschaffen«22. »Wenngleich die einzelne Situation etwas schlechthin Unwiederholbares ist, so geben sich dem Kundigen in ihr doch Kräfte zu erkennen, die dem Bereiche des Stetigen angehören«23. Bei Thukydides ist »alles dem einenZwecke dienstbar gemacht: zu ermitteln, wie es in Wahrheit gewesen ist«24. »Thukydides doziert nicht, er stellt dar«25. »Mit der Methode des >eikazein< sucht er so nahe an die Wahrheit heranzukommen, wiees eben möglich ist«26. Immer geht es um den Begriff der inneren Wahrheit. Dazu gehört epochemachend die kritische Unterscheidung zwischen rein äußeren und äußerlichen Anlässen und Erscheinungen und der eigentlichen tieferen Ur-Sache.“ …
Prof. Dr. phil. Gerhard Pfohl

 

Der Sudetendeutsche Hellmut Diwald, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von ALFRED ADELT.

Der Sudetendeutsche Hellmut Diwald

„Hellmut Diwald war Sudetendeutscher. Er war es bewußt, er bekannte sich dazu. In nahezu allen Publikationen, zumindest seit seinem bahnbrechenden Werk Geschichte der Deutschen (1978), wird dies deutlich. Er gehört gewiß dem ganzen deutschen Volk; es wäre vermessen, wollte ihn eine Volksgruppe für sich beanspruchen, seine Herkunft aber prägte sein Lebenswerk weitgehend. Er bezieht daraus seine gesamtdeutsche Sicht, die nie provinziell bundesrepublikanisch oder sonstwie ausgerichtet war. Er wurde auf diese Art auch anderen immer gerecht, vor allem den Tschechen. »Böhmisch übernationale Lebens- und Denkungsart« war ihm schon mit in die Wiege gelegt, schreibt Alfred Schicke!1.

Hellmut Diwald soll in diesem Beitrag selbst möglichst oft zu Wort kommen, er spricht nämlich am besten für sich selbst.

Anschaulich, mit einem Hauch von Bewunderung, stellt er das nationale Erwachen der Tschechen im 19. Jahrhundert dar. Er schildert, wie verzweifelt die Lage des tschechischen Volkes in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war. Nur ein »Wunder« konnte damals noch eine Wendung bringen. Und damit will er doch sagen, auch wir Deutsche sind heute in einer Lage, die der tschechischen von damals nicht unähnlich ist. Wir sollten also nicht verzweifeln. »Als Volk der Deutschen und als Volksgruppen der Vertriebenen leben wir seit 1945 in einer Irredenta. Wir wissen, daß sie noch lange dauern wird und daß eine der größten Gefahren darin besteht, das Anormale schließlich für normal zu halten. Ebenso wissen wir aus der Geschichte, daß in solchen Phasen der Beengung nichts dringlicher ist als eine unermüdliche Aktivität, die sich allerdings davor zu hüten hat, gegen undurchdringliche Wände anzurennen.«2

Anormales ist bei uns Deutschen auch nach dem 3. Oktober 1990 noch viel geblieben. Vergessen wir das nicht. Es wurde nur ein kleiner Schritt getan.

Für die Tschechen trat das Wunder ein und ist »mit den beiden Namen Josef Jungmann und Franz Palacky verknüpft«.3 Jungmann hat das Tschechische auf die höhere Ebene einer literaturfähigen Sprache gehoben. »Und der Historiker Palacky hat seinem Volk eine bewußt auf die Tschechen orientierte Geschichtsschreibung und ihre Verbindung mit praktisch-politischen Forderungen geliefert, wobei die Einseitigkeit und die mitunter auch klar auf der Hand liegende Verfälschung bewußt in Kauf genommen worden ist. Palacky hat den Tschechen aber nicht nur ihre eigene Geschichte geschaffen, sondern auch die dazugehörende tschechische Geschichtsideologie, deren Kern ihm von Herder und seinem berühmten Slawenkapitel geliefert worden ist. Damit hat er der tschechischen Nationalisierung ein historisches Rückgrat verliehen. Palacky gebührt deshalb aus der Sicht der Tschechen zu Recht der Ehrenname otec nârodu, Vater der Nation.«4

So macht uns Diwald Mut. »Der Mut, den uns Geschichte macht, ist Zuversicht.«5 Mut und Zuversicht, beides harten und haben wir als Deutsche nötig, auch zukünftig.

Grenzt es denn nicht auch an ein »Wunder«, was uns Deutschen 1989/90 widerfahren ist? Die politischen Klassen in Bonn und in Ost-Berlin hatten sich doch zu einem guten Teil längst in der staatlichen Teilung eingerichtet. Das Volk war es, das dieses »Wunder« herbeigeführt hat. Ein nicht erlahmender Mahner, wir dürfen uns mit dem Abnormalen nicht abfinden, war Hellmut Diwald. Und wer gab schon noch etwas für die Völker der Sowjetunion. Dort zeigt sich sogar, daß die Bestrebungen nach Selbständigkeit aus den kommunistischen Parteien selbst hervorgegangen sind.

Tünche war der internationale Kommunismus, das Nationale, der Wille der Völker nach Unabhängigkeit, hat sich als stärker erwiesen.

Diwald hat immer gesamtdeutsch gedacht, was nahe liegt, ja geradezu selbstverständlich ist, weil er geschichtlich denkt und aus der Geschichte Schlüsse für die Gegenwart zieht. So steht er auf einem festen Fundament und wußte immer, daß nicht Ideologen und Tagesereignisse den Ablauf des Geschehens bestimmen, sondern daß sich schließlich Völker und Nationen immer wieder in die Geschichte zurückmelden oder eben untergehen. Das historische Erkennen ist für ihn der entscheidende Impuls für die Darstellung geschichtlicher Ereignisse.

Die Sudetendeutschen, um beim Thema zu bleiben, sind kein geschlossener Stamm. Sie haben vielmehr Anteil an einer Reihe von deutschen Stämmen und Mundarten, von Oberschlesien bis Niederösterreich. Sie können daher eine Klammerfunktion bilden zwischen dem Norden und dem Süden der Deutschen. Durch Jahrhunderte lebten die Sudetendeutschen mit den Alpen-und Donaudeutschen in staatlicher Gemeinschaft. Das prägte sie. Das ist sogar ihre Mission, ist der wertvollste Teil ihrer Identität.

In seinem Werk Geschichte macht Mut (1989) widmet Diwald unter der Überschrift: »Heimat in der Fremde/Sudetica«6 der Geschichte der Sudetendeutschen ein besonderes Kapitel. Jeder sollte es lesen, der sich mit der sudetendeutschen Problematik, dem deutsch-tschechischen Zusammenleben in diesem Raum von der Zeit der Hussiten bis in unsere Tage informieren will. Mit viel Einfühlungsvermögen und Sachkenntnis werden Hus und die Hussitenkriege beschrieben, auch deren Bedeutung für das tschechische Ge-schichtsverständnis. Der Bohemismus, Palackys Ablehnung der tschechischen Beteiligung an den Wahlen für die Nationalversammlung von l848. Der sich verschärfende Sprachenkampf führte dahin, daß die Deutschen in die Defensive gerieten, während die Tschechen die Offensive ergriffen. Sie nutzten geschickt alle Möglichkeiten, die der Kaiserstaat spätestens ab 1848 bot. »Die Tschechen triumphierten, die Sudetendeutschen waren empört, und das um so heftiger, als sie bei dieser Gelegenheit unter dem liberalen Schafspelz den nationalen Wolf der Tschechen entdeckten: sie empfanden es als einen Verrat an der bisherigen Gemeinsamkeit.«7

Zum letzten Male begegneten sich Deutsche und Tschechen in Prag zur Feier von Friedrich Schillers 100. Geburtstag am 10. November 1859. »Doch es handelte sich dabei mehr um ein Abschiedsfest der beiden Nationen als um eine neue Verständigung. «8 Das sollten wir heute wohl beachten. Und es wird weiter festgestellt: »Seit 1848 hatte sich die alte deutsch-tschechische Gemeinsamkeit aufgelöst im Zuge eines deutsch-tschechischen Nationalitätenkampfes, bei dem die Tschechen aufgrund ihrer Zielstrebigkeit und aus dem Empfinden ihrer nationalen Erweckung heraus den Deutschen immer einen Schritt voraus waren.«9

Er behandelt dann sehr eingehend den »Kampf ums Überleben« der Deutschen nach 1918 und in einem weiteren Kapitel »München 1938 :Die Revision eines Unrechts«10 sowie schließlich den deutsch-tschechoslowakischen Vertrag von 1973". »Wir Sudetendeutsche haben aufgrund unseres Schicksals im zwanzigsten Jahrhundert mehr als genug hinreichende Gründe, unzutreffende und bewußt verfälschende Auslegungen unserer Geschichte schroff zurückzuweisen und entschieden zurechtzurücken. Dazu ist allerdings Unbeirrbarkeit nötig und Selbstbeherrschung. Noch unerläßlicher aber ist der Freimut, überall dort die Sachen richtigzustellen, wo diejenigen, die das Wort in den Medien führen, den Deutschen ein X für ein U vormachen wollen.«12 Das ist eine sehr eindeutige Feststellung. Wir sollten sie im Auge behalten und uns danach richten.

Genau so deutlich und unmißverständlich äußert sich Hellmut Diwald zum Münchener Abkommen. »Was die Form des Zustandekommens anging, wurde wiederholt die Meinung vertreten, daß das Abkommen nur aufgrund von Drohungen Hitlers abgeschlossen, also erpreßt worden sei. Hitler aber richtete in München an den französischen Ministerpräsidenten Edouard Daladier die Frage, was denn unternommen würde, wenn sich die tschechische Regierung weigere, die Sudetengebiete abzutreten. Daladier antwortete kurz und bündig: >Wir würden sie dazu zwingen. < Die Tschechoslowakei dürfe nicht durch die Ablehnung einer Entscheidung der europäischen Großmächte den Frieden bedrohen. Diese Großmächte waren sich in den beiden Hauptpunkten einig: Die Regelung von München erfüllte das Recht der Sudetendeutschen, und die Tschechoslowakei hatte, da sie dieses Recht nicht erfüllt hatte, das Münchener Abkommen zubilligen.«13“ …

 

… „Hellmut Diwald fordert die Volksgruppe auf, sich nicht aufzugeben und an    l der Gestaltung der deutschen Zukunft mitzuwirken. »Allerdings«, schreibt er, »setzt das voraus, daß sie heute als Volksgruppe unter dem Begriff Selbstbewahrung etwas anderes versteht als sich selbst nur als Nachlaßverwalter eines Erbes ohne Nachkommen; also nicht einen Weg einschlagen, der von der Erlebnis- zur Bekenntnisgeneration führt und weiter zur Erinnerungs- und schließlich zur Gedenkstundengeneration, die dann über nichts anderes mehr verfügt als über viele Träume und noch mehr Grabsteine.«20

Mit Hellmut Diwald haben die Deutschen, - nicht zuletzt die Sudetendeutschen - einen überragenden Historiker verloren, einen Historiker, der nicht nur in der Gelehrtenstube wirkte, sondern der in das Volk hineinwirken und den Deutschen die »gestohlene Geschichte«,21 wie er es einmal ausführte, zurückgeben wollte, der damit aber in der Gegenwart für die Zukunft wirken wollte.„
Dr. phil. Alfred Adelt

 

Die Stunde der Geschichtserwecker: Hellmut Diwald und Alexander Solschenizyn, in: in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von WOLFGANG STRAUß

Die Stunde der Geschichtserwecker: Hellmut Diwald und Alexander Solschenizyn

… „Was den Russen Solschenizyn mit dem Deutschen Hellmut Diwald verband, war mehr als nur die Leidenschaft zur Entlarvung von Geschichtslügen. Nationalbewußtsein oder anationaler Kosmopolitismus, Wiedererweckung des Geschichtssinns oder Vergangenheitsversteppung, Volkserneuerung oder Volkstod, vor diesen Alternativen standen beide Visionäre. Als Hellmut Diwald im Jahre 1983 als Gründungsmitglied des Deutschlandrates und als Autor des Buches Mut zur Geschichte wider die »Kriminalisierung der deutschen Geschichte« und für die »Entkriminalisierung unserer Geschichte« seine Stimme erhob, predigte der Russe Solschenizyn die Notwendigkeit der Rückkehr zu den Wurzeln eines russischen Geschichtsbewußtseins.

»Noch nie war es so wichtig, daß wir als Volk mit uns selbst im Einklang sind, daß wir ja zu uns sagen und nicht innerlich verkrüppeln«, schrieb Diwald 1982 zum Venohr-Sammelband Die deutsche Einheit kommt bestimmt. Diese These könnte ebenso von Solschenizyn stammen. »Deutschland läßt sich nicht besser vernichten als durch die Zerstörung der Selbstachtung, die Ausschwemmung seiner Normen, die Entwertung unserer Geschichte«: ein Kardinalprinzip in der Befreiungsphilosophie Diwalds, dessen Gültigkeit für das Solschenizynsche Rußland unbestritten ist.

Die nationale Frage, also die Frage der nationalen Identität und Unabhängigkeit, ist das existentielle Problem des 21. Jahrhundert; sie ist stärker als die Klassen- oder Verfassungsfrage - diese fundamentale Erkenntnis ist beiden gemeinsam, dem Antiimperialisten Solschenizyn und dem Imperialismusfeind Diwald. In seinem Offenen Brief an die Sowjetführung von 1973 forderte der Russe die Aufgabe des Imperiums, die Schleifung des bolschewistischen Nationengefängnisses, die Absage an einen antihumanen Multikulturalismus, die Freilassung der nichtrussischen Kulturvölker, die Verwirklichung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung und Selbstregierung, die Rettung des russischen Kernlandes durch Verzicht auf Kolonien und Protektorate und auf alle »geschluckten Ethnien und geraubten Territorien«, denn Rußland könne nur gesunden, wenn es die »imperiale Bürde« entschlossen abwerfe.“ …
Wolfgang Strauß

 

Anmerkungen zu Diwalds Werken, Die Anerkennung – Bericht zur Klage der Nation, Mut zur Geschichte und Geschichte macht Mut, in: Hellmut Diwald – Sein Vermächtnis für Deutschland – Sein Mut zur Geschichte, Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.), Hohenrain Verlag, Tübingen, 1994, von ALFRED ADELDT.

Anmerkungen zu Diwalds Werken

„Mit einem schmalen Band Die Anerkennung - Bericht zur Klage der Nation trat Hellmut Diwald im Jahre 1970 an die Öffentlichkeit. Bundeskanzler Willy Brandt und Ministerpräsident Willi Stoph hatten sich im März 1970 in Erfurt getroffen. Politik in Deutschland und bundesrepublikanische Deutschlandpolitik hatten damit eine andere Qualität bekommen. Darauf machte der Professor für Mittlere und Neuere Geschichte aufmerksam.

Voller Betroffenheit stellte er fest, daß entgegen allen gegenteiligen Beteuerungen bundesrepublikanische Politik nicht in der deutschen Einigung die Zielsetzung sah, sondern in den Westbindungen und damit in der Zementierung der deutschen Spaltung.

»Wir müssen den Konkurs einer Epoche anmelden, die am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Versailler Schlosses begann, und wir merken es nicht einmal. Oder wollen es nicht merken; das ist weit schlimmer. Wenn es der Politiker nicht kann, der Staatsmann nicht will, der Parteichef nicht sieht, dann muß es der Historiker tun.«1

Damit nahm der in Fachkreisen bereits bekannte Professor zu einem aktuellen politischen Ereignis von großer Tragweite Stellung. Seine Veröffentlichungen Das historische Erkennen, 1955, Wilhelm Dilthey - Erkenntnistheorie und Philosophie der Geschichte, 1963, Wallenstein - Eine Biographie, 1969, Von der Revolution zum Norddeutschen Bund - Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach, 1970, um nur die wichtigsten zu nennen, hatten ihm einen Platz in der Fachwelt gesichert. Er war bereits ein angesehener Historiker in der Bundesrepublik. Das Fernsehen entdeckte ihn. Eine Serie, »Dokumente deutschen Daseins« mit Wolfgang Venohr und Sebastian Haffner, machte ihn Ende der siebziger Jahre einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Schon hier ist auch der mitreißende Redner zu erkennen, der geschichtliche Vorgänge darzustellen und zu bewältigen wußte.

Diwald macht deutlich, Geschichte ist spannend, mit Leben erfüllt. Es lohnt sich, daß man sich mit ihr auseinandersetzt. In der Tageszeitung Die Welt hatte er eine Kolumne. Andere Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten gern seine Betrachtungen zu historischen und aktuellen Ereignissen. Von ihm durfte noch manches erwartet werden, zumal er sich nun dem aktuellen Geschehen im deutschen und mitteleuropäischen Bereich zuzuwenden beginnt. So findet Die Anerkennung Beachtung.

Wer einen knappen Leitfaden zur deutschen Geschichte sucht, hier findet er ihn. Es kann unter diesem Gesichtspunkt auch heute noch zu dem Band geraten werden. Schnell aber geht Diwald auf die Ereignisse nach 1945 ein. Offen, ohne etwas zu beschönigen oder zu verharmlosen, für Rechte und Linke, Liberale und Konservative gleichermaßen schockierend, ohne die in den damaligen Jahren übliche Betulichkeit, ohne Bückling nach dieser und Fußtritten nach der anderen Seite. »Worum es geht, ist nichts anderes als die unsentimentale, rücksichtslose Analyse der Situation.«2 Er kommt 1970 zu dem Ergebnis: »Wir in der Bundesrepublik haben auf dem Altar des spätkapitalistischen Geschäftes das Herz und die Seele unseres Nationalbewußtseins ohne großes Bedauern in Rauch aufgehen lassen.«3 Und weiter: »Man muß es kalt aussprechen: Der Bundesbürger besitzt heute nur noch Rudimente eines nationalen Empfindens, Gefühlsfetzen eines deutschen Einheitsbewußtseins. Hier liegt ein Traditionsschwund vor, eine innere Organverstümmelung, die durch keine anderen Richtmaße ausgeglichen worden sind. Zu Beginn der Ära Adenauer war der Begriff der >deutschen Einheit< noch gefüllt mit Hoffnung, Sehnsucht, Erwartung, Liebe, Qual, Trauer, er hätte zum Hauptbegriff eines Zielkatalogs entschlossener Politik werden können. Am Ende dieser Ära war daraus eine Floskel geworden, Bestandteil eines Parteikatalogs rhetorischer Windbeuteleien, die anhören zu müssen eine Beeinträchtigung menschlicher Grundrechte ist.«4

Adenauers Politik bezeichnet er als Muster einer Politik des erfolgreichen Scheiterns.5 »Die Regierung Brandt war so nüchtern und so mutig, die Existenz zweier deutscher Staaten offiziell zur Kenntnis zu nehmen.«6 Für einen Hochschullehrer ungewöhnliche Aussagen in einer Zeit, in der alles recht geordnet schien, die Welt in Gute und Böse schön eingeteilt war.

Das Buch schockierte, es paßte so gar nicht in die Landschaft. Betroffen legt man es schon aus der Hand. Das Ende der Nation wird festgestellt. Am bedrückendsten sagte er, sei »das ungeheuere Defizit an Zukunft, das mit unserer Lage verbunden ist. Es bleibt nur übrig, so nüchtern zu sein, daß es noch zur Trauer und Verzweiflung reicht«.7 »Die Deutsche Nation ist schon lange zu Grabe getragen. Wir müssen so anständig sein, es auch denjenigen Hinterbliebenen mitzuteilen, die es bis jetzt noch nicht wissen. Es wird nie mehr einen Staat geben, der die deutsche Nation umfaßt und der Deutschland heißt. Trotzdem sollten wir diesen Toten so weiterlieben, wie wir ihn als Lebenden geliebt haben. Oder hätten lieben sollen.«8

Schockierende Aussagen, noch einmal sei es gesagt, die aber zum Nachdenken anregen und aufrütteln sollen: Die deutsche Frage ist nun nicht mehr eine Domäne von Institutionen und Berufspolitikern, sie ist zu einer Frage der Deutschen geworden. Gegenwärtig gibt es drei deutsche Staaten, BRD, DDR und Österreich. Sie sind alle drei verschiedenen politischen Systemen zugeordnet, dem westlichen, dem östlichen, Österreich schließlich neutral. Sie haben nur noch eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Geschichte. Das müssen wir einsehen.9

Abschied von Deutschland, das war für ihn die Wirklichkeit des Jahres 1970, wenn in Sonntagsreden auch anderes verkündet wurde. Der Leser hätte ein Recht darauf, meint Diwald, daß ihm die Wirklichkeit auch mitgeteilt werde. Wir haben es also mit einem Bekenntnis zur Wahrheit zu tun.

Nur vordergründig ist es Resignation, die aus Diwalds Anerkennung herauszulesen ist. Er hat Inventur gemacht10. Er wollte den Deutschen sagen, in welcher Lage sie sich befinden, um von hier aus neu und zukunftsgestaltend ansetzen zu können. Und er setzt neu an.“ …

 

… „Der Titel eines 1983 erschienenen Buches lautet daher folgerichtig Mut zur Geschichte. Am Ende dieses Buches findet sich das Kapitel »Mut zur Geschichte - Mut zur Wahrheit«. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Ausführungen, die er im Oktober 1979 bei einem Festvortrag anläßlich der Jahrestagung des Witikobundes in Gießen vorgetragen hatte. Einleitend heißt es: »Die doppelte Aussage: Mut zur Geschichte -Mut zur Wahrheit klingt nicht gerade anspruchslos, ja sie scheint dem Pathos der großen Worte ziemlich nahezustehen, dem gegenüber wir mit guten Gründen mißtrauisch geworden sind. Wir sollten dieses Mißtrauen auch nicht verkommen lassen, allerdings nur, wenn es wirklich mehr ist als die billige Bequemlichkeit, mit der heute und rasch jeder entschiedenen Stellungnahme zu unseren Grundfragen ausgewichen wird. Enthält das Wort: Mut zur Geschichte - Mut zur Wahrheit tatsächlich eine Doppelaussage? Oder ist nicht vielmehr damit gemeint, daß Geschichte und Wahrheit im wesentlichen übereinstimmen oder zumindest übereinstimmen sollen? Dann müßte man die Abfolge umstellen, es müßte heißen: Mut zur Wahrheit ist Mut zur Geschichte, oder anders gewendet: auch aus der Geschichte ergibt sich die Wahrheit, in erster Linie eine Wahrheit der politischen Handlungen, und zwar mit Rücksicht auf ihre innere Schlüssigkeit und ihre Substanz.«12

Geschichte, vor einigen Jahrzehnten war das allgemeine Überzeugung, hatte es mit Wahrheit, mit Wahrheitsfindung zu tun, wenn diese Wahrheiten natürlich immer auch verschieden gedeutet werden können und gedeutet worden sind. Der Standpunkt des Darstellenden, seine Sicht der Dinge schwingt mit und wird immer deutlich hervortreten. Über unterschiedliche Ansichten und Auffassungen zu geschichtlichen Ereignissen konnte man sich auseinandersetzen, das wirkte sogar belebend und war unerläßlich für den Fortgang der Forschung.

Geschichte hatte es auch immer mit dem Politischen zu tun. Geschichte diente stets auch, zumindest soweit sie als Elementarunterricht auftrat, zur Stützung des gerade herrschenden politischen Systems. Vom Geschichtslehrer in den Schulen wurde immer verlangt, daß er systemstabilisierend wirkt.

Diese Systemstabilisierung hat sich zumeist jedoch im Einklang befunden mit den Interessen der eigenen Nation, des eigenen Volkes. Seit dem Ausgang der Religionskriege und dem Anspruch auf Mündigkeit (1975), wie der Titel des ersten Bandes der Propyläen-Geschichte von Hellmut Diwald heißt, standen die Historiker im Dienste ihrer Völker, förderten den Anspruch auf Mündigkeit, und das heißt Entfaltung ihres eigenen Seins, weil zur Freiheit der Person immer die Freiheit gehört, sich zu einer Nation bekennen zu können.

In dieser Hinsicht haben wir Deutschen seit 1945 eine völlig veränderte Situation vor uns.

Der in Südmähren geborene und in Prag aufgewachsene Diwald weist immer wieder darauf hin, wie sehr die tschechischen Historiker, allen voran Franz Palacky, unter dem Einfluß von Herder und der deutschen Romantik, zur Selbstfindung und zum nationalen Erwachen des tschechischen Volkes beigetragen, ja doch die tschechische Identität begründet haben. Bei den Völkern des ost- und südeuropäischen Raumes ist es nicht anders. Historiker waren es, die den Völkern Selbstwert vermittelten und sie durch die Darstellung ihrer Vergangenheit zu nationaler Selbständigkeit führten. Dabei wurden manche Ereignisse überzeichnet und überbewertet, andere unterschlagen. Aber es ging doch vornehmlich darum, den Völkern zu zeigen: ihr habt eine Vergangenheit, die es lohnend erscheinen läßt, Stolz zu zeigen und eigenständiger Faktor zu werden im Konzert der europäischen Völker, mit Subjekt sein zu wollen, nicht nur Objekt, um schießlich im Meer eines anderen Volkes unterzugehen. … „

 

… „Was er mit der Anerkennung 1970 begann, führt er nun konsequent fort. Die Deutschen können sich nicht mehr auf die Regierenden verlassen, sie müssen die Zukunft in die eigene Hand nehmen. So schreibt er nunmehr für das Volk und nicht für Intellektuelle. Deshalb müssen Einwände der Zunftgenossen, Diwald sei doch gar kein Historiker mehr, weil seinen Werken jeder wissenschaftliche Anspruch fehle, abprallen. Sie bekritteln, seht euch doch die Bücher an. Der wissenschaftliche Apparat fehlt, es finden sich keine Anmerkungen. Diwald beherrscht das alles, er hat bewiesen, daß er es kann. Ihm geht es jetzt darum, Geschichte so darzustellen, daß sie wahrgenommen und aufgenommen wird. Eben die Geschichte den Deutschen zurückgeben, damit sie eine Zukunft haben.

Gerade dies wollen seine Kritiker nicht. Diwald schreibt nicht für die entwurzelte Schickeria, die soll unter sich bleiben. Er schreibt für die noch gesunden Kräfte des Volkes. Nicht zufällig kommt im Luther-Jahr 1982 die Luther-Biographie heraus und schließlich 1987 Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches. Hellmut Diwald will die Menschen erreichen, und erreicht sie.

In diesem Zusammenhang darf eines nicht übersehen werden: Diwald war begnadeter Redner. Wer ihn gehört hat, ist begeistert. Der Hinweis, bei ihm handele es sich um den Fichte unserer Tage, muß einmal bedacht werden. Er wendet sich mit dem, was er schrieb und aussagte, schon an die Deutsche Nation, so wie es Fichte 1807/08 im feindbesetzten Berlin unternommen hat.“ …
Dr. Phil Alfred Adelt

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